Analyse Ist nichts gut in Afghanistan?

Berlin · 56 Bundeswehrsoldaten starben beim Einsatz am Hindukusch, ließen ihr Leben für den Versuch, das Land zu stabilisieren und den Terror zu besiegen. Doch die Sommeroffensive der Taliban zeigt ein Land im Strudel der Gewalt.

Analyse: Ist nichts gut in Afghanistan?
Foto: dpa, ba gd

Es war ein sonniger Frühlingsmorgen 2002, die Bundeswehr fuhr in offenen Wagen durch Kabul, die Soldaten stiegen aus, schlenderten über den Markt, wurden freundlich begrüßt. So begann das deutsche Engagement in Afghanistan. Ein Spaziergang zur Stabilisierung, schien es. Am Ende ging es nur noch im Höllenritt und schwer gepanzert durch die Straßen der Hauptstadt, weil überall der Tod lauerte. Nun werden fast täglich Anschläge und Gefechte gemeldet, scheint das Land in Terror und Gewalt zu versinken. Sind 56 deutsche Soldaten vergeblich gestorben?

Die Anschläge des 11. September 2001 in New York und Washington und der Afghanistan-Krieg ab dem 7. Oktober 2001 hängen direkt zusammen. Die USA wollten die Terrorgruppe Al-Qaida als Urheber des "Krieges gegen die USA" ausschalten und mit der Befreiung Afghanistans von der islamistischen Taliban-Herrschaft den Hindukusch von Brutstätten des Terrors befreien. So weit das Konzept, das mit brachialer Gewalt und einem zweitägigen Bombardement tatsächlich mit Unterstützung einer innerafghanischen Allianz zum Regimewechsel führte.

Doch so wenig das Land in den Jahrzehnten zuvor längere befriedete Perioden erleben durfte, so wenig entsprach die idyllische Situation auf dem Markt in Kabul den realistischen Erwartungen an eine dauerhafte Stabilisierung. Schon die Bezeichnung des internationalen Einsatzes als "Unterstützungs"-Mission arbeitete mit falschen Vorstellungen. Da gab es nicht viel zu unterstützen. Das mussten die Koalitionstruppen unter Führung der USA schon selbst übernehmen.

Schon bald wurde klar, dass es nicht reichte, die Straßen in Kabul zu sichern. Die Provinzen bildeten Rückzugs- und Rekrutierungsräume für die Taliban und andere Kriegsherren, solange die internationale Truppe sich auf Kabul konzentrierte. Deshalb teilten sich die Koalitionäre das Land auf: Deutschland griff schnell nach der Verantwortung für den Norden, für Amerikaner, Briten, Franzosen und Kanadier blieben die deutlich unruhigeren Provinzen.

Damit erfolgte eine erste Phase der Ernüchterung. Denn mit der Ausweitung gerieten die Truppen in Konflikt mit den Taliban. Zwar hatte sich die Bundeswehr längst von der Vorstellung verabschiedet, allein mit Brunnenbau und Mediation zwischen Stammesältesten zur Stabilisierung beitragen zu müssen. Aber in blutigen Gefechten Hügel an wichtigen Verkehrsverbindungen verteidigen oder erobern zu müssen - das gehörte bis dahin nicht zu den Standardvorbereitungen für Auslandseinsätze.

Ein erschrecktes Erwachen zog die Entscheidung eines Bundeswehr-Oberst in der Nacht zum 4. September 2009 nach sich. Er hatte Hinweise, dass die Taliban mit zwei entführten Tanklastern das Bundeswehr-Lager in Kundus in Schutt und Asche legen wollten, und ließ die Fahrzeuge bombardieren. Dabei starben viele Zivilisten, die sich gerade Sprit aus den festgefahrenen Lastern abzapften.

Nicht minder traumatisierend wirkten die Karfreitagsgefechte vom 2. April des folgenden Jahres, als ebenfalls nahe Kundus Bundeswehrsoldaten beim Aufspüren von Sprengfallen in einen Hinterhalt mehrerer Dutzend Taliban gerieten und am Ende eines halbtägigen Kampfes drei junge deutsche Männer gefallen waren - drei von insgesamt 56 Soldaten, die im Afghanistan-Einsatz ihr Leben ließen. Die Trauerfeier mit den drei in Schwarz-Rot-Gold gehüllten Särgen und den Bildern der Getöteten stellte so laut wie selten zuvor die Frage nach dem Sinn der Mission.

Zu diesem Zeitpunkt überwogen jedoch die Zeichen, die langfristig einen Erfolg nahelegten. Die afghanischen Streitkräfte wuchsen zwar langsamer als erwartet und hatten auch mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen als geplant. Doch Politiker und Militärs hielten es ab 2011 für möglich, eine Region nach der anderen in afghanische Verantwortung zu übergeben - Mitte 2013 lag Afghanistans Sicherheit wieder vollständig in afghanischer Hand.

Zunächst blieb es bei der "Assistenz" durch die internationale Truppe, die jedoch ihr Engagement schrittweise zurückfuhr und Ende 2014 aus dem Kampfmandat ausstieg. Seitdem gibt es den "resoluten Beistand", der sich vor allem auf das Training der afghanischen Kräfte bezieht. In einem Speichenrad-Modell drehte die Allianz zudem die Entwicklung von 2001 um: allmählich aus der Fläche in den Randgebieten und Provinzen abziehen, einige Stützen beibehalten.

Nach dem Tod von 2300 Amerikanern waren die USA mehr als kriegsmüde, holte Präsident Barack Obama jeden der zwischenzeitlich rund 90.000 US-Soldaten heim - bis auf 8400. Auch die Bundeswehr reduzierte von einst knapp 5000 auf derzeit gut 900. Doch inzwischen verstärken die USA ihre Truppen wieder. Denn die Taliban werden immer stärker.

Schon im vergangenen Jahr überrannten sie die einst von den Deutschen gehaltene Provinz Kundus, konnten danach zwar weitgehend, aber nicht vollständig zurückgedrängt werden. Und in ihrer neuen Sommeroffensive überziehen sie auch die Hauptstadt Kabul mit Anschlägen. Vergangene Woche starben 19 Menschen bei einem Überfall auf die amerikanische Universität. Auch gestern waren stundenlang Schusswechsel und Explosionen zu hören, nachdem am Vortag bei einem Doppelanschlag vor dem Verteidigungsministerium mehr als 24 Menschen starben. Besonders prekär: Auch immer mehr Hilfsorganisationen haben Opfer zu beklagen und ziehen sich zurück. Zehntausende Afghanen sehen nun keine Perspektive mehr und machen sich auf den Weg in den Westen - zumal nicht nur die innere Befriedung des Landes unklar bleibt, sondern in Pakistan und Usbekistan auch die Absichten der Nachbarn.

(may-)
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