Neapel Italienische Armee kämpft gegen Neapels Müllmafia

Neapel · Carmine Schiavone behauptet von sich selbst, 50 Morde begangen und Hunderte in Auftrag gegeben zu haben. Seit Mitte der 90er Jahre ist er Kronzeuge der italienischen Justiz. Schiavone lebt bewacht an einem geheimen Ort – auch weil er ein gefragter Mann in Italien ist.

Carmine Schiavone behauptet von sich selbst, 50 Morde begangen und Hunderte in Auftrag gegeben zu haben. Seit Mitte der 90er Jahre ist er Kronzeuge der italienischen Justiz. Schiavone lebt bewacht an einem geheimen Ort — auch weil er ein gefragter Mann in Italien ist.

Der heute 70-Jährige war dabei, als die Camorra, die neapolitanische Mafia, hochgiftigen Müll im Hinterland von Neapel verscharren ließ — und damit seit den 80er Jahren Milliarden verdient.

Noch immer ruhen die illegalen Deponien im Untergrund. "Feuerland" nennen die rund drei Millionen Bewohner diese Gegend, die oft in graue, manchmal gelbe Rauchwolken gehüllt ist. Einst war das Hinterland bei Familien aus Neapel als grünes Rückzugsgebiet beliebt. "Wir haben das Paradies gesucht und die Hölle gefunden", sagt Marzia Caccioppoli. Sie ist eine der zahlreichen Mütter aus den Provinzen Neapel und Caserta, deren Kinder an Krebs erkrankt sind. Ihr Sohn Antonio war neun Jahre alt, als er vor wenigen Monaten an Leukämie starb. Wegen des Giftmülls, da ist sich seine Mutter sicher.

Der direkte Zusammenhang zwischen Giftmüll und Krebsleiden in der Region ist nur schwer nachzuweisen. Doch in Kampanien erkranken deutlich mehr Menschen an Krebs als im Landesdurchschnitt, die Tendenz ist steigend. Insgesamt zehn Millionen Tonnen Giftmüll, darunter Dioxin, Asbest und sogar Uran, sind im Hinterland Neapels verscharrt. Vor allem Firmen aus Norditalien, aber auch aus Deutschland und der Schweiz, hätten ihre Altlasten in Kampanien entsorgt, berichtete Schiavone den Ermittlern bereits vor Jahren. Über 400 000 Lastwagen hätten seit Ende der 80er Jahre Sondermüll aus dem Norden in der Gegend abgeladen. Unten normaler Deponiemüll, dazwischen hochgiftige Reste, oben wieder Hausmüll.

82 Ermittlungen leiteten die Staatsanwaltschaften seit den 90er Jahren ein, knapp 1000 Mafiosi nahmen die Ermittler fest. Doch der tödliche Abfall blieb weiter unter der Erde. Wohnhäuser wurden in unmittelbarer Nähe der Deponien konstruiert. Landwirte bauen noch heute auf benachbarten Feldern ihr Gemüse an. Bis vor wenigen Wochen wurden Schiavones damalige Aussagen vom Parlament geheim gehalten. Erst als 2007 die US-Navy, die in Kampanien mehrere Militärbasen unterhält, aus Sorge um die Gesundheit der eigenen Soldaten 30 Millionen US-Dollar investierte und eine Untersuchung einleitete, kamen nach und nach die wirklichen Dimensionen des Umweltdramas ans Licht.

Italiens Regierung hat nun mit einem Dekret reagiert. Das Militär kann ab sofort zur Bekämpfung der Müllkriminalität eingesetzt werden. Verbrennungen an der Luft werden künftig mit Gefängnis bestraft. Innerhalb von 150 Tagen sollen die illegalen Deponien aufgespürt werden. Der Umweltminister will 600 Millionen Euro für die Säuberung der Areale zur Verfügung stellen. Für Marzia Caccioppoli, die Mutter des kleinen Antonio, kommt der Einsatz zu spät. Sie befürchtet, dass sich die Mafia nun die Aufträge für die Säuberung der Deponien sichern wird.

(RP)
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