Düsseldorf Jahrgang 1964 – die Kinder der Kriegskinder

Düsseldorf · Die Generation der Babyboomer wuchs im Wohlstand auf. Doch das Schweigen der Eltern über ihre Kriegserlebnisse beschädigte sie.

Was für eine vermeintlich glückliche Generation: hineingeboren in die Wohlstandsgesellschaft der 60er Jahre und in eine stabile Demokratie. Es herrschte Frieden im Land. Und all das hatte die Generation der Eltern aufgebaut, die "Kriegskinder". Über die hatten sich schon früh Psychologen Gedanken gemacht und waren – wie Alexander und Margarete Mitscherlich – zu der Erkenntnis gelangt, dass in all dem Aufbaueifer und all der Arbeitswut eine Verdrängung des erlebten Leids steckte. Der Generation der Kriegskinder wurde die Unfähigkeit zu trauern attestiert.

Damit gab man sich längere Zeit zufrieden und ließ die sogenannten Kriegsenkel außer Acht, die in den 60er Jahren geborenen Babyboomer. Heute weiß man: Es ist die vergessene Generation, die mit dem weit verbreiteten Schweigen der Eltern über die Vergangenheit um–gehen musste, die in der Schule eine Überdosis an Themen über die NS-Zeit verabreicht bekam und die das Elternhaus mitunter "als eine stillstehende graue Sauce" empfand.

Das ist eine Stimme von mehreren, die die Kölner Journalistin Sabine Bode gesammelt und in dem Buch "Kriegsenkel" gebündelt hat. Seither schauen viele mit anderen auf eine nur scheinbar glückliche Generation, die von den Eltern zwar zur Leistung ermuntert wurde, die dabei aber kaum Unterstützung und noch weniger Zuneigung bekam. Viele Kinder empfanden ihre Eltern eher als abwesend, die wiederum aus eigenen Erfahrungen von dem Schwur beseelt waren: Nie wieder Krieg. Das hieß manchmal aber auch: Frieden um jeden Preis.

Jede Emotionalität wurde den Kindern ausgetrieben und damit auch jede Konfliktfähigkeit gestört. Frauen, so Sabine Bode, die als Kind vergewaltigt wurden und später nie Beistand erfahren haben, sind Gift für ihre Söhne: "Denn solche Mütter sorgen dafür, dass ihnen schon in den ersten Lebensjahren alle Regungen und Aggressivität ausgetrieben werden."

Was die Kriegskinder in ihrem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis dem eigenen Nachwuchs boten, war eine Art "Burgfamilie". Dieses Motiv zieht sich durch viele Lebensgeschichten der Generation. Die Burg als Metapher für die Schutzbedürftigkeit einer Familie, für die Isolation, aber auch die Überheblichkeit. Eine Burg verspricht Schutz und vermittelt: Drinnen sind wir sicher, draußen nicht. Wie können Kinder nach dieser Lehre ausreichend Vertrauen ins Leben entwickeln? Sabine Bode hat in ihrer Untersuchung der Burgfamilie das Modell der Hafenfamilie gegenübergestellt. Auch der Hafen kann ausreichend Schutz bieten. Aber im Hafen lässt sich auch die wichtige Erfahrung machen: "Wir leben durch den Austausch mit Fremden. Wir sind weltoffen."

Die Kriegsenkel stehen in diesem Sinne unter den Spätfolgen des Krieges und der NS-Zeit; nur wird dies kaum so gesehen. Was fehlt, ist ein Verständnis auch für diese Auswirkungen der Vergangenheit. Aber: "Alte Traumatisierungen von Vater und Mutter führen regelmäßig dazu, dass sie mit dem Säugling reinszeniert werden." Und Psychotherapeuten berichten von der Auffälligkeit, dass bei den heute 40- bis Mitte 50-Jährigen eine nicht selten diffuse Identität vorliegt. Vielleicht ist es darum nicht verwunderlich, dass die Kinder der Kriegskinder zu jener Altersgruppe gehören, die am stärksten an psychologischer Hilfe interessiert ist.

Bis heute gibt es zwischen diesen Generationen kaum Gespräche über die Familienvergangenheit. Und so entstehen schwierige Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, die, so Sabine Bode, "auf zwei völlig unterschiedlichen Planeten aufgewachsen sind". Allerdings existiert bei den Nachkommen auch ein tiefes Verständnis für die schwere Kindheit der Eltern. Es gibt auffallend wenig Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen.

Was manchmal bleibt, sind Familiengespenster – wie ein verunsichertes Lebensgefühl, unauflösbare Ängste, Blockaden. Das ist die Generation, die heute verantwortungsvolle Positionen des öffentlichen Lebens einnimmt, die in der Regel eine bessere Ausbildung als ihre Eltern erhalten hat und sozial aufgestiegen war.

Damit verbunden ist nach Einschätzung von Psychologen ein grundsätzlicher Mentalitätswechsel. Denn während es für die Kriegskinder wichtig war, wenn sich gesellschaftlich möglichst wenig änderte, so gilt dies für die Generation der Kriegsenkel nicht mehr.

(RP)
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