Berlin Jamaika-Parteien halten schon zusammen

Berlin · Union, FDP und Grüne schmettern gemeinsam etliche Geschäftsordnungsanträge ab. Schäuble mahnt Streitkultur mit Anstand an.

 1) Alexander Gauland (AfD); 2) Alice Weidel (AfD); 3) Marco Buschmann (FDP); 4) Christian Lindner (FDP); 5) Wolfgang Schäuble (CDU); 6) Alexander Dobrindt (CSU); 7) Angela Merkel (CDU); 8) Volker Kauder (CDU); 9) Michael Grosse-Brömer (CDU); 10) Katrin Göring-Eckardt (Grüne); 11) Carsten Schneider (SPD); 12) Andrea Nahles (SPD); 13) Martin Schulz (SPD); 14) Petra Pau (Linke); 15) Jürgen Braun (AfD); 16) Katja Suding (FDP); 17) Stefan Ruppert (FDP); 18) Stefan Müller (CSU); 19) Gerd Müller (CSU); 20) Ursula von der Leyen (CDU); 21) Thomas de Maizière (CDU); 22) Peter Altmaier (CDU); 23) Hermann Gröhe (CDU); 24) Christian Schmidt (CSU); 25) Cem Özdemir (Grüne); 26) Anton Hofreiter (Grüne); 27) Christine Lambrecht (SPD); 28) Sigmar Gabriel (SPD); 29) Ulla Schmidt (SPD); 30) Dietmar Bartsch (Linke); 31) Sahra Wagenknecht (Linke); 32) Bernd Baumann (AfD); 33) Armin Laschet (CDU)

1) Alexander Gauland (AfD); 2) Alice Weidel (AfD); 3) Marco Buschmann (FDP); 4) Christian Lindner (FDP); 5) Wolfgang Schäuble (CDU); 6) Alexander Dobrindt (CSU); 7) Angela Merkel (CDU); 8) Volker Kauder (CDU); 9) Michael Grosse-Brömer (CDU); 10) Katrin Göring-Eckardt (Grüne); 11) Carsten Schneider (SPD); 12) Andrea Nahles (SPD); 13) Martin Schulz (SPD); 14) Petra Pau (Linke); 15) Jürgen Braun (AfD); 16) Katja Suding (FDP); 17) Stefan Ruppert (FDP); 18) Stefan Müller (CSU); 19) Gerd Müller (CSU); 20) Ursula von der Leyen (CDU); 21) Thomas de Maizière (CDU); 22) Peter Altmaier (CDU); 23) Hermann Gröhe (CDU); 24) Christian Schmidt (CSU); 25) Cem Özdemir (Grüne); 26) Anton Hofreiter (Grüne); 27) Christine Lambrecht (SPD); 28) Sigmar Gabriel (SPD); 29) Ulla Schmidt (SPD); 30) Dietmar Bartsch (Linke); 31) Sahra Wagenknecht (Linke); 32) Bernd Baumann (AfD); 33) Armin Laschet (CDU)

Foto: AFP

Der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rollt barrierefrei zu seinem erhöhten Platz hinter dem Rednerpult im Plenarsaal. Stille. Schäuble braucht einige Sekunden, bis er den Knopf neben dem Mikrofon findet, mit dem er sich von nun an das Wort im Parlament selbst erteilt.

Schäuble mahnt im neuen Bundestag, der mit 709 Abgeordneten und sieben Parteien so groß und vielfältig ist wie noch nie, eine demokratische Streitkultur an. "Prügeln sollten wir uns hier nicht, wie es auch in Europa in anderen Parlamenten bisweilen geschieht", sagt der 75-Jährige. Da sich dann doch niemand vorstellen kann, dass die Parlamentarier in Deutschland körperlich aufeinander losgehen, schiebt er hinterher: "Auch nicht verbal sollten wir es tun. Wir können hier vielmehr zeigen, dass man sich streiten kann, ohne dass es unanständig wird." Die Chef-Redner der Republik, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert verfolgen Schäubles Debüt und die Auftritte der Neuen von der Zuschauertribüne aus. Lammert spenden die Abgeordneten einen langen Applaus. Mit seinen scharfen Analysen und seinem unbestechlichen Demokratieverständnis wird er von vielen schon an diesem Tag vermisst.

Dass es bereits während der konstituierenden Sitzung zur Sache geht, überrascht niemanden. Die höchstwahrscheinlich künftigen Oppositionsparteien SPD, AfD und Linke fluten die konstituierende Sitzung des Bundestags mit Geschäftsordnungsanträgen, die wiederum von den Jamaika-Parteien abgeschmettert werden. So weit funktioniert das Bündnis also schon.

SPD und Linke zielen mit ihren Anträgen insbesondere auf andere Spielregeln für die Debatten im Plenum. Sie wollen die politischen Auseinandersetzungen attraktiver machen. Die AfD will in eigener Sache auch einen neuen Sitzungspräsidenten bestimmen. Mit einer Änderung der Geschäftsordnung noch in der alten Wahlperiode hatten die Parteien dafür gesorgt, dass nicht ein AfD-Mann Alterspräsident werden kann, sondern Hermann Otto Solms von der FDP zum Zuge kommt. Solms zeigt sich versöhnlich und mahnt: "Wir alle haben das gleiche Mandat, gleiche Rechte, aber auch gleiche Verpflichtungen." Bei Sätzen wie diesen klatscht die AfD mit den anderen Parlamentariern mit.

Obwohl der AfD-Antrag für einen anderen Sitzungspräsidenten längst durchgefallen ist, nutzt Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann die kurze Aussprache zum ersten und einzigen Eklat des Tages. Er zieht von der Paulskirche 1848 bis heute eine Linie demokratischer Tradition und verweist darauf, dass vor 2017 nur der Nationalsozialist Hermann Göring 1933 die Regel durchbrochen habe, wonach der Älteste die Wahlperiode eröffnet. Die Provokation sitzt. Ein empörtes Stöhnen geht durch den Plenarsaal. Die meisten Parlamentarier mögen aber nicht über das Stöckchen der Populisten springen und vermeiden lautes Geschimpfe über den verbalen Ausfall.

Abgesehen vom Göring-Vergleich unterlässt die AfD weitere Provokationen. Die Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland gratulieren Schäuble sogar artig per Handschlag zur Wahl des Bundestagspräsidenten. Ihr Kandidat für das Präsidium, Albrecht Glaser, freilich fällt erwartungsgemäß dreimal durch.

Auch die Sozialdemokraten laufen sich als Oppositionspartei warm. Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider geht gegen die Kanzlerin, mit der seine Partei immer noch geschäftsführend eine Regierung leitet, zur Attacke über: "Ihr Politikstil, Frau Merkel, ist ein Grund dafür, dass wir heute eine rechtspopulistische Partei hier im Bundestag haben." Unter anderem mit diesen Worten begründet er seinen Antrag, wonach die Kanzlerin dem Parlament viermal im Jahr Rede und Antwort stehen soll.

Damit hat er die AfD auf seiner Seite. Hinterher muss Schneider vor den Kameras und Mikrofonen in der Bundestagslobby Fragen beantworten, warum die Sozialdemokraten gemeinsam mit der AfD stimmen. Derweil gibt auch AfD-Kollege Baumann mit dem Göring-Vergleich Interviews und stellt fest, dass sich die Deutschen vor rumänischen Banden und Straßenkriminalität fürchteten.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die eigentlich von Grünen-Parteitagen gestählt ist, macht am Rande der Sitzung ihrem Ärger über die vielen Geschäftsordnungsanträge Luft. "Nein", sagt sie, das war keine "Jamaika-Abstimmung", nachdem die vielen Begehren mit den Stimmen von Union, FDP und Grünen zurückgewiesen worden sind. "Ich teile, was die Linke sagt", erklärt die Grüne zu den inhaltlichen Anliegen, die Debatten im Bundestag spannender zu machen. "Aber das mache ich nicht in der ersten Sitzung." Der Altliberale Burkhard Hirsch, der an diesem Tag als Gast gekommen ist, lächelt sibyllinisch bei der Frage, wie sich die Auseinandersetzungen im Bundestag künftig entwickeln werden. "Man wird nicht mehr so viele Themen im Bauch des Koalitionsausschusses verschwinden lassen können", sagt er.

Die Sitzung muss wegen der Wahlen zum Bundestagspräsidium immer wieder unterbrochen werden. Während in der Lobby vor dem Plenarsaal der Kampf um die Deutungshoheit des Geschehens im Parlament tobt, zieht die Kanzlerin in aller Seelenruhe die Strippen. Sie vertieft sich mit einem Grünen nach dem anderen ins Gespräch. Schließlich soll am Abend noch das Jamaika-Bündnis verhandelt werden.

(qua)
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