Warschau Jaroslaw Kaczynskis letzter Kampf

Warschau · Ein Jahr nach dem Wahlsieg der Konservativen droht Polen die politische Ächtung durch die EU.

Jaroslaw Kaczynski kennt die bitteren Momente, die in einem langen Politikerleben selten ausbleiben. 2007 etwa versetzten die polnischen Wähler dem Chef der rechtskonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) einen Schlag ins Gesicht. Rund ein Jahr lang war Kaczynski damals Regierungschef - und scheiterte dramatisch mit dem Plan, in dem jungen EU-Staat eine national-katholisch grundierte Vierte Republik zu errichten. 2010 starb sein Zwillingsbruder Lech bei der Flugzeugkatastrophe von Smolensk. Jaroslaw versuchte vergeblich, das Präsidentenamt von seinem Bruder zu übernehmen. Der PiS-Vorsitzende lag politisch am Boden.

Aber Kaczynski rappelte sich wieder auf. 2015 triumphierte die PiS bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen. Genau ein Jahr ist es heute her, dass Kaczynskis Partei die absolute Mehrheit der Nationalversammlung eroberte. Bereits im Sommer zuvor war PiS-Kandidat Andrzej Duda in den Präsidentenpalast eingezogen. Der Doppelsieg war ein politisches Erdbeben, dessen Folgen in Europa bis heute zu spüren sind. Kaczynski trat an jenem 25. Oktober 2015 vor die Kameras und meldete, an seinen toten Bruder gewandt: "Mission erfüllt!"

In Wirklichkeit fing an diesem Abend alles erst an. Die PiS nutzte ihre Macht für einen Frontalangriff auf den Rechtsstaat. Per Eilgesetzgebung blockierte die Parlamentsmehrheit zunächst das Verfassungsgericht. Kurz darauf unterstellte sie die staatlichen Medien direkter Regierungskontrolle. Der Justizminister übernahm parallel das Amt des Generalstaatsanwalts. Der frühere Präsident des Verfassungsgerichts, Jerzy Stepien, urteilte: "Für mich sieht das nach einem Staatsstreich aus."

Die polnische Zivilgesellschaft reagierte sofort. Wenige Tage später gründete sich die Bewegung "Komitee zur Verteidigung der Demokratie". Hunderttausende gingen auf die Straße, um zu protestieren. Kaczynski reagierte im Dezember mit einer unverhohlenen Kampfansage: "Diese Leute gehören zur schlechtesten Sorte von Polen."

Jetzt, mit 67 Jahren, davon gehen fast alle Beobachter aus, schlägt Kaczynski seine letzte große Schlacht. Sein erklärtes Ziel bleibt eine "Runderneuerung" des polnischen Nationalstaats auf katholisch-konservativem Wertefundament. Diesem nationalistischen Programm steht die EU naturgemäß entgegen. Tatsächlich reagierte die Brüsseler Kommission prompt: Schon im Januar 2016 leitete sie ein sogenanntes Rechtsstaatsverfahren gegen Polen ein.

Die Wogen des innen- und außenpolitischen Streits schlagen bis heute hoch. Die PiS ignorierte ein Urteil des Verfassungsgerichts, das die Eilgesetze in wesentlichen Teilen verworfen hatte. Daraufhin richtete die EU-Kommission einen Forderungskatalog an Warschau und stellte ein Ultimatum, das übermorgen ausläuft. Die Verfassungsrichter müssten wieder eingesetzt und ihre Urteile akzeptiert werden. Andernfalls drohen Sanktionen. Einen solchen Beschluss müssten die EU-Staats- und Regierungschefs jedoch einstimmig fassen. Dazu wird es kaum kommen. Mit einer Vier-Fünftel-Mehrheit könnten die EU-Staaten aber zumindest eine "Gefährdung der Demokratie" in Polen feststellen und das Land an den Brüsseler Pranger stellen.

Dass sich Kaczynski von öffentlichem Widerstand mitunter beeindrucken lässt, zeigte sich zuletzt im polnischen Abtreibungsstreit. Ein von der PiS unterstütztes Totalverbot löste vehemente Proteste aus. Anfang Oktober zog Kaczynski die Notbremse: "Das alles war ein gigantisches Missverständnis." Weniger dramatisch, aber doch ähnlich könnte sich der Konflikt mit Brüssel nun entwickeln. Gegen die große Mehrzahl der europäischen Partner wird Polen, das nicht zuletzt finanziell auf EU-Hilfen angewiesen ist, wirtschaftlich und außenpolitisch nur schwer bestehen können.

(RP)
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