Analyse Juncker schießt mit kleinem Kaliber

Straßburg · Der EU-Kommissionspräsident stellt heute sein Investitionsprogramm für Europas schwächelnde Wirtschaft vor. Ein Fonds mit nur 21 Milliarden Euro soll bis zu 315 Milliarden Euro schwere Investitionen anschieben.

Ganz ohne frisches Geld aus den Etats der Mitgliedstaaten will die neue EU-Kommission Europas kriselnde Wirtschaft ankurbeln. Dazu soll ein neuer Investitionsfonds aufgelegt werden, der aus bestehenden Mitteln im europäischen Haushalt und Geldern der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Luxemburg gefüllt wird. Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der den gestern beschlossenen Plan heute im Straßburger Europaparlament vorstellen will, spricht von einem "neuen Weg, um Investitionen anzufachen, ohne neue Schulden zu machen".

Konkret ist vorgesehen, bis Mitte 2015 einen Fonds zu schaffen, der mit einer 16 Milliarden Euro schweren Bürgschaft aus dem EU-Budget und fünf Milliarden Euro von Europas Hausbank EIB arbeiten soll. Das von Juncker bereits zu Amtsantritt versprochene 300-Milliarden-Euro-Paket entsteht durch den angenommenen Multiplikationsfaktor 15, welcher der Brüsseler Behörde zufolge auf "vorsichtigen Schätzungen und historischen Erfahrungen basiert", wie es in einem unserer Zeitung vorliegenden Papier heißt.

In der Theorie sollen so aus 21 Fonds-Milliarden 315 Milliarden für neue Projekte mobilisiert werden. Dahinter steckt die Annahme, dass - wie ein EU-Diplomat sagt - "zögerliche Investoren bereit sein dürften, ihr Geld anzulegen, wenn ihnen jemand den riskantesten Teil der Finanzierung abnimmt".

"Um Projektmanager zu ermutigen", so der deutsche EIB-Chef Werner Hoyer, "müssen wir mehr Risiken auf uns nehmen." Im Klartext: Die EU und damit der Steuerzahler haftet als Erstes, falls eins der Projekte Probleme bekommt. Damit dies möglichst nicht geschieht oder private Investoren sich Projekte subventionieren lassen, die sie auch ohne öffentliche Hilfe gestemmt bekommen hätten, ist in den vergangenen Wochen von EU-Kommission, Investitionsbank und den Mitgliedstaaten bereits eine Liste mit rund 800 infrage kommenden Infrastrukturprojekten erstellt worden. Über die konkrete Kreditvergabe soll Junckers Plan zufolge dann ein sogenannter Investitionsausschuss unabhängiger Experten entscheiden - angeblich rein auf Basis der Wirtschaftlichkeit und nicht entsprechend nationalen Begehrlichkeiten, die es gerade in den Krisenstaaten im Süden der Eurozone zuhauf gibt.

Die einzige Vorgabe besteht nach Angaben der EU-Kommission darin, dass von dem gesamten Investitionsvolumen 240 Milliarden Euro in langfristige Infrastrukturprojekte gehen sollen, während 75 Milliarden Euro kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen sollen. Voraussetzung für die Finanzierung ist, dass sie ganz generell den EU-Zielen wie einer besseren Vernetzung von Verkehrs-, Energie- und Breitbandnetzen oder der Innovations- und Forschungsförderung dienen sollen und noch während der Laufzeit des Investitionsplans von 2015 bis 2017 wirklich starten können.

Verworfen werden mit dem neuen Finanzierungsmodell zuvor ins Spiel gebrachte Ideen, wonach der Investitionsfonds mit ungenutzten Geldern des Euro-Rettungsschirms ESM bestritten werden sollte. Dies hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel rundheraus abgelehnt. Offen hatte sich allerdings die Bundesregierung in Gestalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble dafür ausgesprochen, das Grundkapital der Luxemburger EU-Bank aufzustocken. Dies wiederum hatten jedoch andere Mitgliedstaaten in den Vorabgesprächen abgelehnt, weil sie das Geld nicht aus ihren klammen Haushalten abzweigen wollen oder können. In der Kommission wurde zudem darauf hingewiesen, dass es auch ein Vorteil sei, dass Junckers Plan nicht vom finanziellen Wohlwollen der Mitgliedstaaten abhänge: "Wir können das alleine und damit schnell umsetzen."

Zur Idee des Investitionsplans gehört, dass sich EU-Staaten oder die milliardenschweren Staatsfonds aus Asien nicht nur an den Projekten selbst beteiligen können. Unter dem Motto "Invest in Europe" erhielten sie auch die Möglichkeit, direkt in den Investitionsfonds einzuzahlen - was wiederum dessen Hebelwirkung noch einmal deutlich erhöhen könnte. Angelockt werden sollen die Kapitalgeber damit, dass bei dem erhöhten Verlustrisiko auch der Gewinn entsprechend höher ausfallen kann. Eigene Gewinne würde die EU im Fonds lassen, damit sich dieser auch einmal ohne die öffentliche Garantie tragen kann. "Der Fonds wird mit einer signifikanten Feuerkraft starten", sagt der zuständige EU-Kommissar Jyrki Katainen, der selbst auf eine "Roadshow" in Europa und der Welt gehen will, um mögliche Finanziers vom Juncker-Plan zu überzeugen, "und er wird seine Aktivitäten noch weiter ausbauen können, wenn andere sich beteiligen."

Die Kritik hat freilich nicht lange auf sich warten lassen. Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi sprach von "Juncker-Voodoo": Es solle "kein Cent frisches Geld fließen, aber die Steuerzahler beziehungsweise Förderbanken sollen für private Investoren haften". Sein SPD-Kollege Udo Bullmann fordert die Einbeziehung des Europaparlaments bei der Projektvergabe. Und auch CDU-Gruppenchef Herbert Reul spricht zwar von einem "interessanten Vorschlag, weil keine neuen Schulden gemacht werden und vor allem privates Kapital angelockt werden soll". Doch gibt es auch für Junckers Parteifreund unbeantwortete Fragen: "Funktioniert das mit dem Hebel? Und können wir das Geld einfach so aus dem EU-Haushalt nehmen? Da bin ich mir unsicher."

Denn die Idee hinter Junckers Paket ist nicht neu. Schon vor zwei Jahren schnürte die EU ein Wachstumspaket in Höhe von 120 Milliarden Euro, wovon 230 Millionen Euro in sogenannte Projektanleihen fließen sollten. Diese funktionierten nach dem gleichen Prinzip wie Junckers Investitionspaket: Mit öffentlichen Geld sollten private Investitionen abgesichert werden.

(RP)
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