Persönlich Jens Stoltenberg . . . ist ein Trump-Versteher

Manchmal taugt ein erfundenes Zitat, um einen Politiker zu charakterisieren. "Der Präsident der Vereinigten Staaten hat eine Zwölf-Sekunden-Aufmerksamkeitsspanne", soll Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg über Donald Trump gesagt haben. Tatsache ist: Das hat er nicht, ein Journalist hat es dem Norweger angedichtet. Wer den 58-jährigen, braven Prototypen eines skandinavischen Sozialdemokraten einmal erlebt hat, weiß, dass er das gar nicht gesagt haben kann. Nicht einmal hinter vorgehaltener Hand. Und schon gar nicht wenige Tage vor dem Nato-Treffen, bei dem er die Regierungschefs aller Mitgliedsländer zu Besuch hat.

Stoltenberg ist die Verkörperung von Pflichtbewusstsein. Er improvisiert nicht. Bei Pressekonferenzen hält er sich an genau abgezirkelte Formulierungen, um ja keinen Fauxpas zu begehen und ein Mitgliedsland verbal vor den Kopf zu stoßen. Umso mehr wird er Trump, den für seine Unberechenbarkeit bekannten Politiker, behandeln wie ein rohes Ei.

Zumal Stoltenberg einen guten Start mit dem US-Präsidenten hingelegt hat. Trump legte bei der Pressekonferenz mit Stoltenberg im April eine 180-Grad-Wendung in Sachen Nato hin und bekannte: "Ich habe gesagt, die Nato sei obsolet. Sie ist nicht obsolet." So unterschiedlich der impulsive Trump und der kontrollierte Stoltenberg auch sind, sie verbinden gemeinsame Interessen: Stoltenberg war von Anfang an davon überzeugt, dass die Mitgliedsländer ihre Verteidigungsausgaben erhöhen sollten. Zwar haben viele Länder, darunter Deutschland, bereits mehr Geld in die Verteidigung gesteckt. Aber erst seitdem Trump ins Weiße Haus eingezogen ist und darauf herumreitet, dass Europäer und Kanadier dabei nachlässig seien, passiert richtig etwas.

Bis 2013 war Stoltenberg norwegischer Ministerpräsident. Nach den Anschlägen des Rechtsextremisten Anders Behring Breivikin, denen 77 Menschen zum Opfer fielen, sagte der Ex-Regierungschef: "Der Mörder ist gescheitert, das Volk hat gewonnen." Norwegen bleibe eine offene, multikulturelle Gesellschaft.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort