Persönlich Joana Marques Vidal

In den Ländern Südeuropas floriert die Korruption. So lautet eine gänge Ansicht über die Anrainerstaaten des Mittelmeers. Doch es gibt immer wieder Menschen, die sich damit nicht abfinden wollen - in Italien, Südfrankreich, Spanien und derzeit besonders in Portugal. Dort übernahm Joana Marques Vidal (62) im Jahr 2012 den Posten der Generalstaatsanwältin der Republik. Die erfahrene Juristin machte aus der bislang eher behäbigen und oft gegenüber korrupten Politikern und Wirtschaftsführern nachlässigen Behörde eine effiziente Dienststelle, die über Portugal hinaus Bewunderung erlangte. Marques Vidal hatte auch keine Angst vor den Mächtigen des Landes, die oft genug in heiklen Fällen Druck auf die Justiz ausüben.

So strengte sie ein Korruptionsverfahren gegen den früheren sozialistischen Premier Jose Socrates an, der vor Gericht mit der Verurteilung des Politikers und einer Gefängnisstrafe endete. Auch den mächtigsten Banker des Landes, Ricardo Salgado, verfolgte sie wegen vermuteter Steuerhinterziehung, ebenso wie den Top-Manager Zeinal Bava. "Sie ist immun gegen Druck aus Politik und Medien", meint die portugiesische Radiojournalistin Joana de Sousa Dias. Manchmal scheint es, als würden ihre Mittel nicht ganz ausreichen, um das Recht zur Geltung zu bringen.

Bei Sozialisten und Konservativen hat sich Marques Vidal mit ihrer Konsequenz gleichermaßen unbeliebt gemacht. Sie wird von einer der Parteien nur unterstützt, wenn sie gegen den jeweiligen politischen Gegner vorgeht. In der Bevölkerung ist sie indes beliebt. Gleichwohl lehnt Marques Vidal jeden Heldenkult ab. "Ich bin eine pflichtbewusste Beamtin", meint die Portugiesin bescheiden. Scharf und energisch wird sie nur, wenn sie dem Recht Genüge tun will. Dabei bleibt sie in ihrer Amtsführung stets sachlich und unaufgeregt.

Doch jetzt, im sechsten Jahr ihrer Amtszeit, ist sie selbst Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen - aus politischen Gründen. Denn die Justizministerin Francisca Van Dunem der regierenden sozialistischen Partei hatte bereits angekündigt, dass die Verfassung eine zweite Amtszeit nicht vorsehe. Das gilt als vorgeschoben, um die unliebsame Generalstaatsanwältin loszuwerden. Wichtige Verfassungsrechtler bestreiten die Meinung Van Dunems. Und Ministerpräsident António Costa, auch nicht gerade ein Fan von Marques Vidal, sprach vorsorglich von "einer juristischen Meinung". Ob sie bleibt, ist offen. Denn mit ihrer Anklage gegen den angolanischen Ölmanager Manuel Vicente hat sie internationale Verwicklungen ausgelöst. So verlangt Angola die Verlagerung des Prozesses in die frühere portugiesische Kolonie. Manche in der Regierung Lissabons glauben, sie könnten das durch Ölfunde reichgewordene Land, wo Zehntausende Portugiesen arbeiten, dadurch besänftigen, dass sie der Staatsanwältin eine zweite Amtszeit verweigern. So wäre allen gedient, nur nicht dem Recht.

(RP)
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