Kolumne: Mit Verlaub! Junge Leute - auf die Barrikaden für Europa!

Joschka Fischer und Helmut Kohl, die beiden Alten, sind als glühende Verfechter der großen Idee eines vereinten Europa Brüder im Geiste. Die Jugend müsste endlich neue Glut entfachen.

Dem früheren französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou wird der deftige Satz zugeschrieben: "Nur Idioten ändern sich nicht." Winston Churchill hat es eleganter ausgedrückt: Törichte Kontinuität sei der Kobold kleiner Geister. Beides kommt mir in den Sinn, wenn ich an Joschka Fischer denke. Dessen Wandlung vom linksradikalen Straßenschläger und Parlamentsrüpel in Wiesbaden und Bonn zum anerkannten Bundesaußenminister und schließlich zum europapolitischen Denker ist so frappierend wie anerkennenswert. Besser vom Saulus zum Paulus als lebenslang Paulinchen.

Ich bin mir sicher, dass Helmut Kohl als Ehrenbürger Europas über Fischer heute nicht mehr so abschätzig urteilen würde, wie er das vor gut einem Jahrzehnt in seinem Oggersheimer Keller des Zorns getan hat. Fischer sei, so Kohl damals, als Außenminister eine absolute Zumutung. Mit Verlaub, Herr Altbundeskanzler: Hier irrten Sie. Zum einen hat Außenminister Fischer 2003, als Kohls Nachfolger aus den Reihen der Union mit heißem Herzen dem Wahnwitz des Irak-Kriegs entgegenfieberten und nicht einmal auf die Kriegswarnungen von Johannes Paul II. hören mochten, dem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sein "Ich bin nicht überzeugt" entgegengeschleudert. Zum anderen war und ist Fischer ein Europäer ganz nach dem Geschmack Kohls.

Die beiden Alten navigieren politisch auf unterschiedlichen Ozeanen, mit einer Ausnahme: Als glühende Anhänger eines vereinten Europa sind sie Brüder im Geiste. Für Kohl und Fischer ist Europa mehr als ein großer Kaufmannsladen; vielmehr eine Frage von Krieg und Frieden für den alten Kontinent, in dem die Völker viel zu lange aufeinanderschlugen und erst durch Schaden klug geworden sind.

Es kann kein Zufall sein, dass beide europäischen Deutschen und deutschen Europäer jetzt zwei Bücher auf den Markt bringen, die sich ihrem großen Thema widmen. Aus den Titeln schimmert Besorgnis: Fischers "Scheitert Europa?" und Kohls "Aus Sorge um Europa" sind Weckrufe an die aktuelle und vor allem die junge politische Generation, nicht die EU-Asche zu verwalten, sondern neue Glut zu entfachen, die Fackel weiterzutragen, sich begeistern zu lassen von der Idee eines vereinten Europa.

Gibt es für Jüngere, die große Aufgaben suchen und sich nicht nur für sich interessieren, ein tolleres politisches Projekt als Europa? Der Lorbeer in der Europa-Arena ist mehr wert als manches Seminar-Fleißkärtchen. Europa kommt den kraftstrotzenden Mächten USA und China alt, reich und schwach vor. Höchste Zeit, ihm neues Leben einzuhauchen.

Also, junge Leute - auf die Barrikaden für Europa!

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(RP)
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