Analyse Junge Union kopiert Merkel

Inzell · Was der Ausgang der Kampfabstimmung um den Bundesvorsitz der 117 000 Mitglieder starken Jungen Union für die Zukunft von CDU und CSU bedeutet.

Die Spuren der Bodychecks waren neben den Delegierten-Tischen deutlich zu sehen. Unzählige Schrammen auf der Bande rund um den Deutschlandtag der Jungen Union (JU) im trockengelegten Eisstadion von Inzell erinnerten jederzeit an harten Körpereinsatz. Bodychecks prägten auch die größte Jugendorganisation Europas schon seit Monaten: JU-Vize Benedict Pöttering (31) aus Niedersachsen lieferte sich mit JU-NRW-Chef Paul Ziemiak einen langen und beinharten Wahlkampf um die Nachfolge des nach zwölf Jahren abtretenden JU-Vorsitzenden Philipp Mißfelder. Mit einer Umarmungsstrategie ("Unser Paul") machte Ziemiak eindeutig das Rennen. Pöttering blieb mit 37:63 Prozent auf der Strecke. Was sagt das über die Zukunft der JU und damit über die Zukunft von CDU und CSU, deren Weg der Nachwuchs schon bald mit bestimmen wird?

Wiewohl sich Pöttering als Anti-Merkel-Spieler inszenierte und Ziemiak als "Kandidat des Adenauer-Hauses" gehandelt wurde, greift eine Deutung pro oder contra Merkel zu kurz. Bezeichnend war das Spiel der beiden Kontrahenten über die Bande. Wenn Pöttering sich in vielen Sätzen damit beschäftigte, wie wichtig eine Berufsausübung vor dem Übernehmen politischer Verantwortung sei, meinte er damit das abgebrochene Jura-Studium und den noch fehlenden Abschluss in Unternehmenskommunikation bei Ziemiak. Und wenn dieser in vielen Sätzen schilderte, wie er als in Stettin geborener Junge nach dem Wechsel ins sauerländische Iserlohn an seinem ersten Kindergartentag noch kein Wort Deutsch verstanden habe und es nun geschafft habe, als "Euer Paul" vor den Deutschlandtag zu treten, dann meinte er die familiäre Situation des Mitbewerbers als Sohn des ehemaligen EU-Spitzenpolitikers Hans-Gert Pöttering. "Warum ist mein Engagement als Sohn eines Politikers weniger wert?", fragte Pöttering. Doch die Geschichte vom Aufstieg des Aussiedlerkindes klingt einfach besser. Und offenbar geht es dem CDU-Nachwuchs mehr um persönlich überzeugendes Auftreten als um formale Kritik an Karrieren nach dem Muster "Kreißsaal - Hörsaal - Plenarsaal".

Ziemiak hatte es zudem in den Verhandlungen zwischen den Landesverbänden geschafft, eine rechnerische Mehrheit schon vor dem Deutschlandtag für sich zu organisieren. Pöttering hätte im direkten Kräftemessen noch alle Chancen gehabt, die Delegierten von sich zu überzeugen. Das verpasste er durch eine zu lange und seltsam überdrehte Rede, die phasenweise den Eindruck erweckte, hier gehe es nicht um den Posten des JU-Vorsitzenden, sondern um die Kanzlerkandidatur. Pöttering als Retter Deutschlands vor dem Ruin - das war dann doch zu dick aufgetragen.

Vor allem tat Ziemiak seinem Kontrahenten nicht den Gefallen, beliebig zu sein. Er war in einigen Sachthemen deutlich entschiedener und hatte sich Bilder ausgedacht, die den Saal rockten: "Wer die Scharia über das Gesetz stellt, der braucht keinen Integrationskurs, sondern eine Gefängnisstrafe", lautete eine seiner meist bejubelten Aussagen gegen eine "Multi-Kulti-Mentalität". Zudem schilderte er seine "Riesenwut" auf Jusos, Grüne und "irgendwelche verkappten Kommunisten", wenn diese die Bundeswehr beleidigten.

Die beiden Bewerbungsreden standen unter dem Eindruck des Merkel-Besuches. Die Kanzlerin vermied es in Inzell nicht nur, die richtigen Knöpfe zu drücken, um die Parteijugend in Stimmung zu bringen. Sie ging auch bemerkenswert kalt mit dem scheidenden Rekordzeit-Vorsitzenden Mißfelder um. Für Merkel war es lediglich "an der Zeit, Danke zu sagen für zwölf erfolgreiche Jahre an der Spitze einer nicht immer einfachen Organisation". Und als besondere Leistung Mißfelders fiel ihr vor allem ein deutsch-französisches Jugendtreffen ein. Zwar erwähnte sie auch noch den "unglücklichen" Beginn Mißfelders mit seiner Forderung, älteren Menschen die Hüft-OP nicht mehr zu bezahlen, und würdigte die daraus gezogene Lehre, zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Parteijugend und Parteisenioren.

Wenn Mißfelder auch durch irritierende Ost-Kontakte und eigensinnige Reisediplomatie die Parteifreunde vor den Kopf gestoßen hat, so hätte Merkel darauf eingehen können, dass die anderen Jugendorganisationen in den vergangenen zwölf Jahren weitgehend in die politische Bedeutungslosigkeit abgerutscht sind, während die Junge Union mehr Mitglieder hat als Grüne und Linke zusammen. Ohne die flächendeckende Arbeit der JU wäre Merkel wohl kaum knapp an die absolute Mehrheit herangekommen. Dass der Verband so gut funktioniert, ist auch Mißfelders Verdienst - unter anderem dank seiner Bereitschaft, bundesweit in Landes- und Kreisverbänden präsent zu sein.

Der Deutschlandtag hätte also Grund gehabt, auf die eher spröde Ansprache Merkels mit der Wahl des Anti-Merkel-Kandidaten Pöttering zu reagieren. Stattdessen klar für Ziemiak zu votieren, ist auch eine Entscheidung für die Neuaufstellung der größten politischen Jugendorganisation Europas. Sie hatte bislang immer durch knallharten Konservatismus auf sich aufmerksam gemacht. Doch das Programm Ziemiaks betont konservative, liberale und christlich-soziale Positionen unter dem Dach einer Jugend-Volkspartei. Das ist das Prinzip Merkel für die CDU.

Die Junge Union will nicht den einen oder den anderen Flügel der CDU stärken, sondern als eigenständige Kraft für die Belange der jungen Generation in einer älter werdenden Gesellschaft Partei ergreifen. Wenn sie Angela Merkel dafür gewinnen, bleibt die JU friedlicher Plakatkleber und karrierebewusstes Personalreservoir. Die nächste Entscheidung zu Lasten der Jungen wird jedoch die erste Herausforderung für die neue Junge Union.

(may-)
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