Düsseldorf Jungpolitiker - eine aussterbende Art

Düsseldorf · Im Bundestag sitzen kaum Abgeordnete unter 30 Jahre. Aktivisten und der Jugendforscher Klaus Hurrelmann fordern deshalb eine Quote für mehr jüngere Volksvertreter. Bei den Nachwuchskräften der Parteien kommt das nicht gut an.

Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union 2014 in Inzell forderte CSU-Politiker Edmund Stoiber den Aufstand gegen die Alten: "Es ist wichtig, dass ihr euch massiv in die politischen Debatten einschaltet - sofern sie überhaupt geführt werden." Kurzatmige Gegenwartsinteressen übertrumpften zu oft langfristige Perspektiven. "Seid laut, seid deutlich, und lasst nicht zu, dass der Wohlstand in Deutschland nur noch verwaltet wird", sagte der frühere bayerische Ministerpräsident. So solidarisch mit Kindern, Enkeln und Ur-Enkeln klingt ein älterer Herr erst, wenn er keine Macht mehr hat.

Doch woher sollen die streitbaren Jungpolitiker kommen? Die Kirchen waren einst Kaderschmiede für die christlichen Parteien, die Gewerkschaften für die SPD: Beide sind angeschlagen und verlieren Menschen, die zu ihnen stehen. Gleiches gilt für Parteien und Vereine. Die Folge: Weniger als acht Prozent der Abgeordneten im Bundestag sind unter 35 - in der Bevölkerung kommt diese Altersgruppe auf 35 Prozent. Die 45- bis 65-Jährigen stellen hingegen 66 Prozent aller Parlamentarier. Und auch international liegt das Durchschnittsalter in Parlamenten bei 53 Jahren, wie die Weltorganisation der Parlamente festgestellt hat.

Die Jungen seien im politischen Raum völlig unterrepräsentiert, sagen deshalb Martin Speer und Vincent-Immanuel Herr von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Sie fordern eine Jugendquote auf den Landeslisten der Parteien und im Bundestag. Mindestens 20 Prozent der Kandidaten sollen jünger sein als 35. "Die Jugendquote bietet die Chance, die Gesellschaft als Ganzes widerstandsfähiger zu machen. Eines der großen Probleme unserer Zeit ist doch, dass junge Menschen nicht mehr daran glauben, politische Entwicklungen beeinflussen zu können", sagen sie. In Schleswig-Holstein müssen schon jetzt mindestens zehn Prozent der SPD-Bewerber jünger als 35 Jahre sein - allerdings lediglich bei Landtags- und Kommunalwahlen.

Eine Quote könnte durchaus gegensteuern, sagt auch der Bielefelder Soziologe und Jugendforscher Klaus Hurrelmann: "Wenn die Stimme der nachwachsenden jungen Generation auch in den Parlamenten zur Geltung kommen soll, muss etwas geschehen." Hurrelmann zufolge sollte man die Jugendquote zunächst im Sinne von Selbstverpflichtungen der Parteien auf Basis von Beschlüssen einführen. "Sollte das dann nicht funktionieren, könnte man in einem späteren Schritt immer noch über eine allgemeine rechtliche Regelung nachdenken." Schließlich hätte die Frauenquote den Parteien ja auch eine viel stärkere Attraktivität beim weiblichen Geschlecht beschert.

Jens Spahn, der 35 Jahre alte Gesundheitsexperte der CDU, der einst forderte, in seiner Partei nicht nur Herren in "silbergrau" bestimmen zu lassen, hält nichts von dem Vorstoß: "Wichtig ist, dass die jungen Volksvertreter auch tatsächlich die Stimme für nachkommende Generationen erheben. Das erreicht man aber mit keiner Quote."

Die 27-jährige Nachwuchsfrau der CSU, Emmi Zeulner, sieht das ähnlich: "Ich bin froh, auch ohne eine Quote in den Bundestag gekommen zu sein", sagt sie. Um mehr junge Menschen für Politik zu begeistern, sieht Zeulner es als ihre Aufgabe, für Politik zu werben.

Das haben auch schon andere Jungstars vor ihr versucht - und sind damit gescheitert. Wie Philipp Rösler, der mit Ende 30 zum FDP-Vizekanzler aufstieg und nach dem Wahldesaster 2013 in die Schweiz floh. Oder der CDU-Politiker Philipp Mißfelder (Jahrgang 1979), der in einen Proteststurm lief, als er älteren Rentnern die kostenlose Hüftgelenksoperation streichen wollte. Und dann auch noch den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau beehrte, um an einer Geburtstagsfeier für Gerhard Schröder (SPD) teilzunehmen.

Mahmut Özdemir kennt diese "Leidensgeschichten". Der SPD-Politiker weiß, dass fast ein Drittel der Studierenden Politik für unwichtig hält; dass sich viele junge Menschen den Job des Berufspolitikers nicht antun wollen; dass die Unkenrufe über die aussterbende Spezies der Jungpolitiker zunehmen. "Genau deshalb", sagt er, "müssen wir den jungen Menschen Sicherheit vermitteln." Özdemir sitzt mit 27 Jahren als jüngster Abgeordneter im Berliner Reichstagsgebäude, will die Anliegen seiner Generation in den Bundestag einbringen. Befristete Verträge und Leiharbeit müssten besser heute als morgen abgeschafft werden, sagt er. Wie er das schaffen will? Jedenfalls nicht mithilfe einer Jugendquote. Die hält Özdemir für ein "Armutszeugnis". Schließlich sollte Politik auch ohne Quoten gesellschaftliche Realitäten abbilden können, sagt er.

Eine Einstellung, die optimistisch sei - oder naiv, urteilt der Soziologe Hurrelmann. Für das politische System sei beides bedenklich.

(RP)
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