Buenos Justizskandal erschüttert Argentinien

Buenos · Sonderermittler Alberto Nisman hat sich erschossen - aus freien Stücken oder unter Zwang? Viele Argentinier trauen ihrer Präsidentin Cristina Kirchner sogar einen Auftragsmord zu. Denn Nisman erhob schwere Vorwürfe gegen Kirchner.

Aires Hat Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner iranische Drahtzieher des blutigen Bombenattentats aus dem Jahr 1994 auf die jüdische Gemeinde in Buenos Aires gedeckt? Oder sind die Vorwürfe nur die Hirngespinste eines besessenen Sonderermittlers? Seit Staatsanwalt Alberto Nisman tot aufgefunden wurde, der in dieser Woche das Parlament über seine schweren Vorwürfe gegen Kirchner informieren wollte, blickt Argentinien voller Entsetzen und mit noch größerer Ratlosigkeit auf eine Affäre, die vielen Menschen Angst macht.

Nisman hatte Hintermänner aus dem Iran für den Anschlag verantwortlich gemacht, der bis heute nicht aufgeklärt wurde und für den niemand vor Gericht stand. Konkret warf Nisman der Regierungschefin vor, die Verantwortung des Iran für das Attentat verschleiert zu haben, um im Gegenzug ein lukratives Ölgeschäft abzuschließen. Kirchner bestreitet die Vorwürfe energisch.

Wie aufgeheizt die Atmosphäre in dem südamerikanischen Land ist, zeigten die spontanen Solidaritätsmärsche und Kundgebungen in Buenos Aires und weiteren Städten. Tausende Argentinier zogen mit Kochlöffeln und Töpfen bewaffnet in die Innenstädte, um eine rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle zu fordern. Sie trugen Plakate mit der Parole "Yo soy Nisman" ("Ich bin Nisman") - in Anlehnung an die Solidaritätskampagne nach dem Attentat auf "Charlie Hebdo".

Es ist ein typisch argentinischer Protest. Viele glauben nicht an einen Selbstmord Nismans, sie machen Geheimdienste für seinen Tod verantwortlich. Staatsanwältin Vivian Fein will die Todesumstände genauer untersuchen lassen. Die Obduktion ergab zwar, dass Nisman selber geschossen hat - doch es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er dazu gezwungen worden sei. Kirchner geht dagegen von Selbstmord aus: "Was war es, das einen Menschen zu der furchtbaren Entscheidung bringt, aus dem Leben zu scheiden?"

Für die argentinische Gesellschaft, die ohnehin tief gespalten ist, bedeutet das wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl eine weitere Emotionalisierung. Dass einige Demonstranten der Präsidentin sogar einen Auftragsmord zutrauen und beim Kurznachrichtendienst Twitter das entsprechende Stichwort "CFKAsesina" ("Mörderin Cristina Fernández de Kirchner") posten, zeigt die Polarisierung. Beweise für diese schwere Anschuldigung gibt es nicht.

Cristina Kirchner hat das Präsidentenamt vor knapp acht Jahren von ihrem inzwischen verstorbenen Mann Néstor übernommen. Zwei Wahlen konnte sie gewinnen, doch ihre Amtszeit war immer wieder von Korruptionsvorwürfen überschattet. Kirchner bestritt stets die Vorwürfe und sprach von Kampagnen. Auffällig ist aber auch: Die Berufspolitikerin Kirchner ist inzwischen Multimillionärin. Die Präsidentin begründete das stets mit glücklichen Investitionen.

An der Spitze der Regierung hatte sie zuletzt eine weniger glückliche Hand: Das Land leidet unter hoher Inflation, der Rechtsstreit um die Rückzahlungen an die verhassten Hegdefonds brachte ihr zwar viel Sympathie, dem Land aber auch große finanzielle Probleme. Zudem leidet Argentinien unter einer Gewaltwelle, die mit dem wachsenden Einfluss der Drogenmafia zusammenhängt.

Nismans Vorwürfe, Kirchner habe den Hintermännern des Attentats Straffreiheit verschafft, wiegen schwer. Sollte sich der Verdacht erhärten, dann wäre dies das vorzeitige Ende der Präsidentschaft und auch des "Kirchnerismus" - im Herbst darf sie ohnehin nicht mehr antreten, könnte aber nach vierjähriger Pause theoretisch erneut kandidieren. Doch das Ganze könnte sich für Kirchner auch zum Vorteil entwickeln: Hätte Nisman sie zu Unrecht beschuldigt, würde das ihrer Bewegung in den nächsten Monaten noch einmal neuen Schwung verleihen. Undenkbar scheint nichts.

(RP)
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