Sigmar Gabriel (spd) "K-Frage nicht ohne Kraft"

Für das Interview steigen wir mit SPD-Chef Sigmar Gabriel am Berliner Hauptbahnhof in den Zug nach Braunschweig. Es ist Mittwoch. Wann immer es geht, fährt Gabriel mittwochnachmittags heim nach Goslar und holt seine Tochter Marie von der Kita ab. Der Vizekanzler spricht über Freundschaft in der Politik, Merkels vierte Kanzlerkandidatur und darüber, was die SPD im Wahljahr 2017 plant.

Herr Gabriel, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft weiß schon, wer SPD-Kanzlerkandidat wird. Wissen Sie es auch?

Gabriel Sie können sicher sein, dass die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft entscheidenden Einfluss darauf hat, wer die SPD als Spitzenkandidat in die kommende Bundestagswahl führt. Die SPD-Führung ist sich einig und hat einen klaren Fahrplan, wie wir die Entscheidung herbeiführen. Es ist ja eine ernsthafte Frage, wer die größte Volkswirtschaft Europas als Kanzler der SPD anführen soll. Deswegen bin ich froh, dass die SPD damit auch angemessen und ernsthaft umgeht.

Hat Kraft denn eine korrekte Aussage getroffen, wenn sie sagt, sie wisse, wer Kanzlerkandidat wird?

Gabriel Solche Entscheidungen werden nicht ohne Wissen und vor allem nicht ohne die Zustimmung der Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, getroffen.

Merkel ist das Zögern als Taktik ausgelegt worden. Ist es auch Taktik, dass Sie mit der Antwort auf die K-Frage der SPD noch hinter dem Berg halten?

Gabriel Der Vorwurf stimmte schon bei der CDU nicht . . .

Sie nehmen jetzt die CDU in Schutz?

Gabriel Nein. Angela Merkel hat öffentlich erklärt, sehr lange geschwankt zu haben, ob sie noch mal antreten solle. Denn sie weiß doch auch, dass nach zwölf Jahren im Amt die Kreativität abnimmt und vor allem ihre Parteien CDU und CSU ausgepowert sind und eine Erholung in der Opposition dringend nötig hätten. Aber ohne Frau Merkel wäre die Union doch völlig führungslos. Nach ihr ist eine große Leere in der Union. Sie macht es aus Pflichtbewusstsein. Aber sie hat keine Antworten für Deutschlands Zukunft.

Sollten Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz in einer Hand liegen?

Gabriel Dafür spricht manches.

Martin Schulz hat in einem Fernseh-Porträt über Sie gesagt, Sie seien nicht immer kontrolliert, Sie würden manchmal ausrasten und sich nicht die Mühe geben, "die Dinge bis zum Schluss durchzutragen". Ist Ihre Freundschaft noch so gut, wie sie es einst war?

Gabriel Ja. Zwischen Martin und mir gibt es eine intensive Freundschaft, die auch außerhalb der Politik existiert.

Auch Sie werden als möglicher künftiger Außenminister gehandelt.

Gabriel Das ist doch ehrenwert. Aber ich bin Wirtschaftsminister, und die deutsche Wirtschaft voranzubringen und beispielsweise die Verkäuferinnen von Kaiser's dabei nicht zu vergessen, das ist eine sehr gute Aufgabe für den Vorsitzenden der SPD.

Was meinen Sie, wenn Sie von einer kulturellen Spaltung des Landes sprechen?

Gabriel Es gibt nicht nur eine materielle, sondern auch eine wachsende kulturelle Spaltung. Das Land teilt sich immer mehr in "oben" und "unten". Es gibt eine interessante Untersuchung, dass inzwischen immer weniger zwischen den sozialen Schichten geheiratet wird. Beziehungen und nicht Leistung entscheiden über den weiteren Lebensweg der Kinder. Man grenzt sich ab. Und wer die Soaps des Privatfernsehens gerne sieht, wird von den selbst ernannten Eliten in Medien und Politik schnell als Konsument des "Unterschichtenfernsehens" abgewertet.

Ist das jetzt ein Plädoyer für Political Incorrectness?

Gabriel Nein, aber ich bin auch dagegen, Menschen auszugrenzen, nur weil sie sich in den elitären Dialogen nicht zu Hause fühlen. Das heißt weiß Gott nicht, dass man alles tolerieren muss. Rassistischer Sprachgebrauch ist nicht "politically incorrect", sondern rassistisch, und deshalb gehört er zu Recht ausgegrenzt. Aber wenn jemand aus dem Alltagssprachgebrauch "Ausländer" sagt und nicht "Mensch mit Migrationshintergrund", ist er deshalb noch kein Ausländerfeind. Aufklärung erfordert Offenheit für Menschen, manchmal auch Geduld und vor allem immer Herzlichkeit und Freundlichkeit. Menschen müssen sich in der demokratischen Politik angenommen und nicht beurteilt fühlen.

Was macht die SPD, damit sich im Bundestagswahlkampf nicht die Lager der Etablierten gegen die AfD bilden?

Gabriel Natürlich stellen wir uns die Frage: Wie erreichen wir auch diese Menschen wieder, die AfD nicht deshalb wählen, weil sie Rassisten und Ausländerfeinde sind, sondern weil sie meinen, ihre Unzufriedenheit anders nicht ausdrücken zu können? Die Parteien dürfen nicht immer als Vollsortimenter daherkommen, in deren Regalen alle Produkte unterschiedslos angeboten werden. Ganz vorne im Regal der SPD muss ihr Angebot für gute Arbeit, gute Bezahlung und soziale Sicherheit stehen. Und wir müssen die großen sozialen Fragen beantworten. In den Ballungsgebieten ist das die Wohnungsnot . . .

. . . da gibt es ja jetzt einen Wettlauf zwischen Union und SPD, wer die dickeren Programme auflegt . . .

Gabriel Nein. Das stimmt nun gerade nicht. Bei der Mietpreisbremse verweigern CDU und CSU ja aktuell die Hilfe für die Mieter. Es ist doch unfassbar, was inzwischen für ein Wucher mit ganz normalen Wohnungen getrieben wird. Ich halte die Wohnungsnot in den Großstädten für Normalverdiener für eines der größten sozialen Probleme mit erheblicher politischer Sprengkraft. Die Union kommt nur mit den alten Rezepten und verspricht Steuersenkungen in Höhe von insgesamt 30 Milliarden Euro. Das ist eine vorbereitete Wahllüge.

So abwegig ist der Gedanke an Steuersenkungen nicht: Wer 54.000 Euro Jahreseinkommen hat, zahlt in Deutschland den Spitzensteuersatz, kann sich in einem Ballungsraum aber kein Eigenheim leisten. Macht das die SPD zufrieden?

Gabriel Das liegt doch nicht an den hohen Steuern, sondern an den Wucherpreisen, die für Grund und Boden und für die Häuser gefordert werden. Außerdem sagt der Spitzensteuersatz nichts über die Steuerbelastung aus.

Warum nicht?

Gabriel Die Frage, ob Sie mit ihrem Einkommen klarkommen, hat nichts mit dem Spitzensteuersatz, sondern mit dem durchschnittlichen Steuersatz zu tun. Es wäre ohnehin ganz gut, wenn wir mehr auf die durchschnittliche Steuerbelastung schauen würden. Dann würde sich schnell herausstellen, dass die sehr Wohlhabenden gemessen an den Normalverdienern relativ wenig Steuern zahlen.

Wahrscheinlich werden wir einen Wahlkampf ohne Koalitionsaussagen der Parteien erleben.

Gabriel Damit rechne ich auch.

Lässt sich dennoch etwas über die größten Schnittmengen mit Ihren möglichen Koalitionspartnern sagen?

Gabriel Die SPD wird keine Koalitionsaussage treffen. Meine Partei wird einige Punkte definieren, ohne die wir in keine Regierung gehen werden. Selbst dann nicht, wenn wir bei mehr als 40 Prozent landen.

Sie besuchen immer wieder Treffen mit Abgeordneten von SPD und Grünen. Streben Sie ein rot-rot-grünes Bündnis an?

Gabriel Es ist ganz einfach: Wenn wir sagen, dass es keinen Koalitionswahlkampf geben wird, dann müssen wir vor dem Wahlkampf Tabus ausräumen. Ich will mich nicht an die Grünen und die Linkspartei binden, aber es geht um Entkrampfung. Am Ende kommt es nicht auf uns an, sondern auf das Verhalten der Linkspartei. Sahra Wagenknecht hält Reden im Bundestag zu Europa, die sich kaum von solchen der AfD unterscheiden. Mit einer solchen Einstellung gegen Europa wird es keine Koalition mit der SPD geben. Auch wird sich die SPD niemals daran beteiligen, den finanziellen Ruin des Landes durch übertriebene Sozialstaatsversprechen der Linken herbeizuführen.

Sie werden im Frühjahr wieder Vater. Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wie Sie Familie und Wahlkampf miteinander vereinbaren wollen?

Gabriel Natürlich haben meine Frau und ich das besprochen und geklärt. Fest steht: Eine Babypause wird es für mich leider nicht wieder geben können.

Sie erwecken den Eindruck eines glücklichen Familienvaters. Hängen Sie dadurch weniger an politischen Ämtern?

Gabriel Ich mache meine Arbeit sehr gern, aber es ist gut, wenn das Leben nicht nur aus dem Beruf und der Politik besteht. Das macht auch freier und unabhängiger. Ich kann für mich und meine Familie sagen, dass wir glücklich sind. Kinder sind etwas Wunderbares, ich werde im Frühjahr drei Töchter haben. Kinder sorgen ja immer dafür, dass man sich selbst nicht so wichtig nimmt. Die räumliche Distanz zwischen Berlin und Goslar tut auch gut: Auf der Heimfahrt fällt der Berliner Stress von mir ab, und ich komme entspannter zu Hause an und freue mich auf meine Familie.

JAN DREBES UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort