Bern Käseglocke – die Schweiz isoliert sich

Bern · Erstmals hat sich der ländlich-konservative Teil der Eidgenossenschaft gegen die urbanen Eliten durchgesetzt.

Nach seinem großen Triumph setzte sich Christoph Blocher neben das Bild einer Kuh und gab ein Interview — auf seinem eigenen TV-Kanal Teleblocher, Folge 336, und ausnahmsweise auf Hochdeutsch. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) habe jetzt "peinlichst darauf zu achten", dass die Berner Regierung "den Auftrag" erfüllt, ließ der Chefstratege der rechtsnationalen SVP wissen. Und zwar "je schneller desto besser", machte Blocher klar. Der Auftrag, das ist die Umsetzung der SVP-Initiative gegen die "Masseneinwanderung".

Mit hauchdünner Mehrheit hatten sich die Eidgenossen am Sonntag für den SVP-Plan ausgesprochen und damit einen Sturm der Entrüstung, aber auch Zustimmung im EU-Ausland ausgelöst. Nach dem SVP-Konzept muss Helvetien die Einwanderung von Deutschen, Italienern, Luxemburgern oder Österreichern in Zukunft mit "Höchstzahlen und Kontingenten" begrenzen. Zudem kann der Anspruch auf Familiennachzug und Sozialleistungen beschränkt werden.

Mal wieder hat die Schweiz sich damit abgesetzt vom Rest Europas. Man könnte sogar meinen, dieses trotzige Anderssein als die Anderen sei das wahre Wesen der Eidgenossenschaft. Doch dazu ist die Schweiz viel zu heterogen. Die urbane deutschsprachige Schweiz mit den international orientierten Zentren Zürich und Basel sowie der traditionell weltoffene französischsprachige Westen des Landes haben bisher immer alle Bestrebungen, die Zuwanderung grundsätzlich einzuschränken, abgeschmettert. Und für gewöhnlich gab dieses Bündnis den Kurs vor. So stimmten noch 2009 knapp 60 Prozent der Schweizer für die Ausweitung der Freizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien.

Das schlagende Argument war immer dasselbe: Die Schweiz als export- und dienstleistungsorientiertes Land könne sich eine mögliche Abkopplung vom EU-Binnenmarkt nicht leisten. Gegen das Argument vom drohenden Wohlstandsverlust hatten die Befürworter einer stärkeren Abschottung in den vergangenen Jahren kaum eine Chance. Die wirtschaftlichen Vorteile wurden stets höher bewertet als die möglichen gesellschaftlichen Nachteile.

Das hat sich am Sonntag geändert. Da hat sich zum ersten Mal in einer solch entscheidenden Frage die andere Schweiz durchgesetzt, häufig karikiert als heimeliges Land der Alphörner, der Fahnenschwenker und der Geranien auf dem Fensterbrett. Es ist eine eher ländlich geprägte Schweiz, wo die Menschen häufig nur wenig Kontakt mit Ausländern haben, dafür aber umso stärkere Überfremdungsängste. Und die starke Zuwanderung aus der EU (seit 2007 sorgte sie immerhin für ein Bevölkerungswachstum von einem Prozentpunkt pro Jahr) schaffte auch tatsächlich einige ganz handfeste Probleme: Auf dem Wohnungsmarkt kommt es zu Engpässen und zu einer Mietexplosion, die Straßen sind immer häufiger verstopft, und auch auf dem Arbeitsmarkt werden die meist gut ausgebildeten Arbeitsmigranten aus der EU immer stärker als gefährliche Konkurrenten empfunden.

Und dann kam auch noch der zunehmende diplomatische Druck großer Nachbarn auf die kleine Schweiz hinzu, der manchmal rüde Umgang, den etwa die USA oder auch Deutschland in Steuerfragen gegenüber der Regierung in Bern an den Tag legten, haben ihre Spuren im kollektiven Bewusstsein vieler Schweizer hinterlassen. Dies alles — die diffuse Angst um die eigene Identität wie die konkreten Probleme — wurden von den Eliten bisher nicht wirklich ernst genommen.

Das wird sich wohl ändern. Denn die per Volksabstimmung durchgesetzten Bestimmungen haben Verfassungsrang. Die siebenköpfige Mehrparteien-Regierung muss die SVP-Politik jetzt durchsetzen — obwohl das Kabinett gegen die "Abschottungsinitiative" gekämpft hatte. So lauteten nun einmal die Spielregeln der direkten Demokratie in der Eidgenossenschaft. Und auch die Wirtschaft muss sich mit den möglichen Konsequenzen abfinden. In den Chefetagen wird befürchtet, dass gut ausgebildete Kräfte künftig einen Bogen um die Schweiz machen könnten. "Wenn etwa Google keine Fachkräfte mehr bekommt, wird sich der Konzern überlegen, ob er in der Schweiz bleibt", warnt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbandes.

Und das Ende der Entwicklung ist noch nicht einmal erreicht. Derzeit wird ein Volksbegehren vorbereitet, das die Schweiz sogar noch radikaler abschotten will. Die grünen Fundamentalisten von der Ecopop-Initiative verlangen eine jährliche Begrenzung der Netto-Zuwanderung auf 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung. Schon in zwei Jahren könnten die Schweizer über den Plan der Heimatschützer abstimmen.

(RP)
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