Opposition lehnt Sonderermittler ab Kanzleramt spielt in BND-Affäre auf Zeit

Berlin · Die Regierung fürchtet offenbar, dass angesichts wiederholter Veröffentlichungen von Geheimpapieren die Amerikaner die Nachrichtendienst-Zusammenarbeit mit Deutschland einschränken. Die Opposition lehnt einen Sonderermittler ab.

Das Profil steht: Anerkannt sollte er sein, und zwar auch bei der Opposition, unabhängig sowieso und auch mit Expertise - so beschreiben die Geheimdienstexperten von Union und SPD, Nina Warken und Christian Flisek, im Gespräch mit unserer Zeitung den Sonderermittler, der den Streit in der Koalition um die Herausgabe der geheimen Selektorenliste beenden soll. Die Idee: Er untersucht im Auftrag des Bundestages, ob und wie umfangreich der US-Geheimdienst mit Hilfe des BND europäische Firmen, Politiker und Behörden ausspähen wollte. Doch das Kanzleramt lässt sich Zeit mit der Entscheidung. Vor Pfingsten werde wohl nichts mehr draus, heißt es in Koalitionskreisen.

Bei diesen Listen geht es um Zehntausende Selektoren, Mail- und Computeradressen, Telefonnummern und Stichworte, mit deren Hilfe der BND auf Bitten der NSA abgefischte Kommunikation mit Krisenländern filtern sollte. Der BND hatte sie ausgesondert, weil sie gegen deutsches und europäisches Recht verstoßen. Jetzt wollen sich die Geheimdienstkontrolleure im Bundestag selbst ein Bild von den möglichen Verstößen gegen die Vereinbarungen machen. Mehr "Rückgrat" hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel gegenüber den USA verlangt und ebenfalls darauf bestanden, dass die Regierung die Listen rausrückt.

Doch in den USA herrscht dem Vernehmen nach helles Entsetzen darüber, dass viele als "geheim" eingestufte Unterlagen nach dem Eintreffen beim NSA-Untersuchungsausschuss oder beim Parlamentarischen Kontrollgremium binnen Tagen oder sogar weniger Stunden in den Medien auftauchen. Aus Washington verdichten sich die Hinweise, dass die dortige Administration als Folge daran denkt, die Kooperation mit den deutschen Partnern deutlich zu reduzieren.

Das wiederum gilt in deutschen Sicherheitskreisen als Katastrophe. Eine ganze Reihe von Anschlagsplanungen konnte dank NSA-Mitteilungen in Deutschland rechtzeitig aufgedeckt werden. Deshalb ist die Neigung zur Herausgabe von Geheimmaterial der NSA im Kanzleramt äußerst gering - erst recht, bevor die US-Regierung in dem vorgeschriebenen Konsultationsprozess ihr Einverständnis erklärt hat.

In den Koalitionsfraktionen waren deshalb zwei Varianten entwickelt worden, an die Listen zu kommen, ohne die Bedenken der Regierung zu missachten. Die eine bezog sich darauf, dass nur wenige Abgeordnete die Selektoren einsehen, ohne sich Kopien oder Notizen machen zu dürfen. Die andere drehte sich um den Sonderermittler. Flisek regt an, eine Persönlichkeit auszuwählen, die auch bei den Grünen anerkannt ist.

Doch die Opposition will davon nichts wissen: "Egal, wer vorgeschlagen wird, wir werden einen Sonderermittler nicht akzeptieren", sagt Grünen-Obmann Konstantin von Notz unserer Zeitung. Das Parlament habe verfassungsrechtlich verbriefte Rechte, "und die lassen wir uns nicht abquatschen", meint von Notz. "Wir werden die Rechte des Untersuchungsausschusses nicht dem Streit zwischen SPD und Union opfern", betont Linken-Obfrau Martina Renner. Die Linke bestehe auf der Vorlage der gesamten Selektoren-Liste, um den Untersuchungsauftrag erfüllen und die Praxis des BND überprüfen zu können. "Für den Fall, dass die Bundesregierung dem Untersuchungsausschuss die Selektoren-Liste endgültig verweigert, werden wir auf Herausgabe klagen", kündigt Renner an. Dazu muss der Ausschuss aber erst einmal eine Ablehnung in Händen haben. Das kann dauern. Die Standard-Wasserstandsmeldung des Regierungssprechers lautet: "Das Konsultationsverfahren dauert an."

Zudem rechnen Koalitionskreise damit, dass das Bundeskanzleramt die Klage der Opposition sogar einkalkuliert. Das schaffe erneut viel Zeit, um mit den Amerikanern in den Gesprächen über die Zukunft der Nachrichtendienst-Kooperation voranzukommen. Und wenn das Verfassungsgericht die Regierung zur Herausgabe verurteile, könne dies auch gegenüber den USA überzeugender erklärt werden.

(may-)
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