Bundespräsident begleitet die Regierungsbildung Kanzlerwahl erst nach Weihnachten?

Berlin · Bleiben die Machtverhältnisse unklar, muss der Bundespräsident eingreifen – deshalb mischt er jetzt schon mit.

Bleiben die Machtverhältnisse unklar, muss der Bundespräsident eingreifen — deshalb mischt er jetzt schon mit.

Ein Vier-Augen-Gespräch mit der CDU-Vorsitzenden, eines mit dem SPD-Chef, und die Chefs von Grünen, Linken und CSU kommen im Schloss Bellevue auch noch an die Reihe: In ungewöhnlich offensiver Weise begleitet Bundespräsident Joachim Gauck die Regierungsbildung. Damit macht er nicht nur auf seine eigene Rolle aufmerksam, er signalisiert als "Bürgerpräsident" auch vom ersten Tag an, was die Bürger von den Politikern erwarten: dass sie sich nun möglichst bald zusammenraufen.

Es gehört zu den Gepflogenheiten der Bundespolitik, dass das Staatsoberhaupt regelmäßig von der Regierungschefin und von wichtigen Ministern "gebrieft", also vertraulich über die Absichten und Strategien auf dem Laufenden gehalten wird. Dass sich der Präsident bereits in den Gestaltungsprozess einschaltet, noch bevor die potenziellen Partner mit ersten Sondierungen begonnen haben, ist in der Geschichte der Bundesrepublik allerdings ohne Beispiel.

Doch das Wahlergebnis ist es nicht minder: Erstmals gibt es einen einzigen klaren Sieger ohne jede natürliche Regierungsoption. Zwar konnte auch CDU-Chef Helmut Kohl 1976 sogar noch mehr Stimmen erringen als jetzt Angela Merkel (48,6 gegenüber 41,5 Prozent), doch Kohl sah sich einer zur Fortsetzung verabredeten sozialliberalen Koalition gegenüber. Rot-Gelb stand. Alles war klar.

Das Gegenteil ist dieses Mal der Fall. Und für unklare Situationen schreibt das Grundgesetz dem Bundespräsidenten eine herausragende Stabilisierungsrolle zu. Er allein ist es, der dem Bundestag eine Person als Kanzler oder Kanzlerin vorschlägt, und er allein hat es in der Hand, wie es bei unklarer Mehrheitslage weitergeht.

Kommt im ersten oder zweiten Wahlgang die sogenannte Kanzlermehrheit zustande, votieren also mindestens 316 der 630 Abgeordneten in geheimer Wahl für einen Kandidaten, dann muss Gauck den gewählten Kanzler auch ernennen. Wenn aber der Bundestag in drei Wahlgängen nur eine einfache Mehrheit zustande bringt, kann Gauck die gewählte Person zum Bundeskanzler ernennen. Er muss es aber nicht. Denn dann ist er völlig frei darin, die Grundlage als zu wacklig anzusehen und stattdessen den Bundestag aufzulösen, wodurch es zu Neuwahlen kommen würde.

Genau darauf wird in Berlin als Notlösung bereits spekuliert. Sollten alle Versuche einer Regierungsbildung scheitern, könnte ein neuer Bundestag zusammen mit dem Europaparlament Mitte Mai nächsten Jahres gewählt werden.

Die meisten Beteiligten setzen derzeit jedoch auf eine große Koalition. Im CDU-Präsidium fanden Fürsprecher auch eine naheliegende Begründung dafür: Die Beziehungen zwischen Bund und Ländern müssten ohnehin neu geordnet werden. Ab 2019 dürfen keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Dafür müssen noch gewaltige Strukturveränderungen her. Auch viele weitere Macht- und Einflussregeln haben sich im föderativen Zusammenspiel nicht bewährt. Deshalb sehen führende Politiker bei Union und SPD ohnehin die Notwendigkeit, gemeinsam ein ganz großes Rad zu drehen.

Freilich zeigen sich Unionspolitiker vom Gebaren der SPD auch genervt. Diese führe sich auf wie ein Verlierer, der vom Sieger eine Kurskorrektur verlange, wetterte CDU-Vize Armin Laschet. Deutlich mehr beeindruckt ist die CDU von den Grünen, weil diese sich personell wie thematisch neu aufstellen. Gerade unter jüngeren CDU-Abgeordneten ist Schwarz-Grün attraktiv. Deshalb wird die Union Ende der Woche zwar zuerst mit der SPD sondieren, danach aber auch mit den Grünen. "Ich finde es gut, dass wir ergebnisoffen mit beiden Parteien sprechen", sagt etwa Jens Spahn (33) von der Jungen Gruppe der Union. "Jetzt wird man schauen, wo es die größten Gemeinsamkeiten für die nächsten vier Jahre gibt."

Das Bauchgefühl der Unionsspitzen geht zwar in Richtung große Koalition, doch der Kopf sagt, die Chancen mit den Grünen ernsthaft auszutesten. Das ist vor allem Wunsch der Landesverbände, die an die nächsten Regionalwahlen denken und sich nicht auf eine Wiederbelebung der FDP verlassen wollen. Auch mit Blick auf die Situation nach der Bundestagswahl 2017 halten es einige Präsiden für die beste Strategie, die Grünen schon jetzt aus einer erwarteten rot-rot-grünen Mehrheit "herauszubrechen".

Ob nun schwarz-rote oder schwarz-grüne Verhandlungen — alle Beteiligten stellen sich auf einen zähen Prozess ein. Bei derart gegensätzlich aufgestellten Koalitionspartnern müsse bereits vor dem Start einer gemeinsamen Regierung jede Absicht auf jedem Politikfeld bis ins Detail ausverhandelt sein. Weihnachten gilt intern bereits als Zielmarke — mit der Kanzlerwahl erst im nächsten Jahr.

(may-)
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