Regierungsstil Kleine Machtzirkel regieren die Republik

Berlin · Die große Koalition in Berlin hat den verblüffenden Effekt, dass die Zahl der Entscheider im Land klein geworden ist. Wenn es kriselt, treffen sich Kanzlerin Merkel, SPD-Chef Gabriel und CSU-Chef Seehofer zum Sechs-Augen-Gespräch.

Wie vertraut man sich wieder nach der Edathy-Affäre? Wer geht für Deutschland nach Brüssel? Und welche Ausnahmen für den Mindestlohn sollen nun gelten? Diese Punkte wurden in der Öffentlichkeit breit diskutiert, mit etlichen kontroversen Beiträgen aus der großen Koalition. Entschieden werden die Fragen allerdings in intimer Runde von den drei Parteichefs der großen Koalition: von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und CSU-Chef Horst Seehofer.

Mit der großen Koalition ist ein neuer Regierungsstil im Bund und auch in der Zusammenarbeit mit den Ländern eingezogen. Dies zeichnete sich schon während der Koalitionsverhandlungen Ende November ab, als 70 Spitzenpolitiker aus Bund und Ländern eine halbe Nacht warten mussten, während die drei Parteichefs die Knackpunkte untereinander klärten.

Bei den Finanzangelegenheiten zwischen Bund und Ländern fanden damals Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz (SPD) zueinander, während NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) die Macht der SPD-geführten Länder demonstrierte. Und so ist es seitdem geblieben. Beispielsweise handelten Schäuble und Scholz den Kompromiss zur Bafög-Reform miteinander aus.

In den Wochen, in denen der Bundesrat in Berlin tagt, lädt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die SPD-Länder zur "Kraft-Runde" - der Name des Kreises ist durchaus als Wortspiel gedacht. Denn hier wird manches zerschossen, was Schwarz-Rot auf Bundesebene gerade glattgezogen hat, beispielsweise in der Asylgesetzgebung. Die SPD-geführten Länder sehen vor allem ihre eigenen finanziellen Interessen und müssen auf ihre grünen Koalitionspartner Rücksicht nehmen. Die wiederum kommen unter der Führung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum "G-Länder-Treffen" zusammen, um ihre Strategie für den Bundesrat festzulegen.

Die großen Gesetzespakete entscheiden am Ende kleine Zirkel. Im Bundestag wächst die Zahl der Abgeordneten, die sich durch die Kungelrunden kaltgestellt sehen. Selbst den in anderen Regierungen üblichen Koalitionsausschuss, in dem neben den Parteichefs auch die Fraktionschefs, die Generalsekretäre und je nach Themen Minister saßen, meidet das Parteichef-Trio der großen Koalition. Kanzlerin Merkel kann es sowieso nicht leiden, wenn Vertrauliches in der Öffentlichkeit durchsickert. Auch Gabriel und Seehofer haben bisher keinerlei Interesse gezeigt, ihre Generalsekretäre oder Minister mitzubringen, wenn sie mit der Kanzlerin über die Geschicke der Republik entscheiden. Die betroffenen Minister bekommen dann allenfalls den Hinweis, sich mit ihren Leuten bereit zu halten. Bei Bedarf schalten die "großen Drei", wie die Runde im Berliner Jargon heißt, die Fachminister telefonisch dazu.

Die drei Parteichefs haben auch ihre eigenen Läden gut im Griff. Merkel steuert die CDU per SMS und schickt ansonsten ihren Kanzleramtsminister Peter Altmaier als Friedensstifter und Kompromiss-Vermittler los. Sigmar Gabriel hat als SPD-Chef mächtig an Autorität gewonnen, seitdem es ihm gelungen ist, aus 25 Prozent Wahlergebnis 50 Prozent Regierungsbeteiligung zu zaubern. Jede Woche mittwochs anderthalb Stunden vor dem Kabinett versammeln sich die SPD-Minister in einem Besprechungsraum neben seinem Ministerbüro. Dann macht der SPD-Chef seine Ansagen, wann wer mit welchem Gesetz aus der Deckung kommen soll. Seehofer wiederum ruft bei seinem Vertrauten, Verkehrsminister Alexander Dobrindt, an, um die CSU in Berlin zu dirigieren.

(qua)
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