Berlin Kleiner Aufstand in der Union

Berlin · Viele Jüngere und führende Wirtschaftspolitiker vermissen einen ordnungspolitischen Kompass bei der Parteichefin: Sie fordern den Abbau der "kalten Progression" und wachstumsfördernde Reformen noch in dieser Wahlperiode.

Es sind nur noch wenige Wochen bis zu den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Ende August und Mitte September, aber die Union kommt nicht zur Ruhe: Der Ruf vieler Wirtschaftspolitiker nach einem insgesamt wirtschaftsfreundlicheren Kurs der Bundesregierung und neuen wachstumsfördernden Reformen noch in dieser Wahlperiode wird lauter. Sie proben eine Art Mini-Aufstand - auch und gerade gegen Partei- und Regierungschefin Angela Merkel (CDU). Bisher lässt sie diese Kritik noch unbeantwortet.

Die Politik der großen Koalition sei zu sehr auf das Verteilen und nicht auf das Erwirtschaften des Wohlstands ausgerichtet, lautet unisono die Kritik der Reformer. Das könne sich bald schon rächen, denn der Konjunkturmotor komme bereits ins Stottern. Eine Regierung müsse ihren Blick auf die nächsten zehn bis 20 Jahre richten, nicht nur auf die kommenden drei. Wie das rasant alternde Deutschland künftig seinen Wohlstand sichern wolle, sei völlig bislang ungeklärt. Ohne Reformen im Steuer-, Gesundheits- und Pflegesystem, die jetzt eingeleitet werden müssten, werde es nicht gehen.

Nach der Rente mit 63 ist es nun die jüngste Ankündigung Merkels, die Ost-Renten bis 2020 dem Westniveau anzugleichen, die neue Kritik ausgelöst hat. "Es muss irgendwann einmal Schluss damit sein, mit dem Füllhorn übers Land zu ziehen", wettert der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer. Deutschland dürfe sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. "Wir brauchen eine Agenda 2030, damit die deutsche Wirtschaft auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleibt", fordert Pfeiffer. Dazu gehörten etwa Investitionsanreize durch "Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung, der Abbau von Bürokratie sowie die Abschaffung der ,kalten Progression'".

Auch Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der Union, kritisiert eine zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung und fordert Steuererleichterungen. Spahn verlangt zudem "neue Wege der Finanzierung in der Renten- und Krankenversicherung", ohne konkreter zu werden, und eine "kluge Zuwanderungspolitik mit einem verlässlichen Punktesystem, die um die Besten in der Welt wirbt". Er hat etwa 50 jüngere gleichgesinnte Unionsabgeordnete um sich geschart, die sich im Oktober erneut treffen.

Der Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, warnt ebenfalls davor, staatliche Leistungen noch mehr auszuweiten. "Die Sozialleistungen sind im vergangenen Jahr stärker gestiegen als die Wirtschaftsleistung. Das ist ein Warnsignal für die Politik", mahnt er. Vor allem bei der Rente dürften "nicht ständig neue Ausgaben" beschlossen werden, ist er sich mit Pfeiffer einig. Er will stattdessen die Leistungsträger schon bald entlasten: "Diejenigen, die die Leistung erbringen, damit der Sozialstaat finanziert werden kann, müssen wieder stärker im Fokus stehen." Möglichst "schon Anfang 2016, aber spätestens zum 1. Januar 2017 müssen wir deshalb mit dem Abbau der ,kalten Progression' beginnen".

Dem CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach bereitet die Investitionszurückhaltung in Deutschland Sorgen. "Wir müssen bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau einführen", fordert er. Im Gegenzug sollten andere Ausgaben gekürzt werden. "Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem", betonte Michelbach.

(mar)
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