Analyse Klimagipfel im Kohle-Land Polen

Warschau/Düsseldorf · Weder die Gastgeber noch die zentralen Akteure der UN-Konferenz in Warschau überraschen bislang mit wirkungsvollen Ansätzen. Den entscheidenden Impuls könnte der Gefühlsausbruch eines Philippiners gegeben haben.

Das große Match im Warschauer Fußballstadion mit Teilnehmern aus 194 Ländern ist angepfiffen, es wird noch bis Ende nächster Woche dauern und voraussichtlich mit einem klaren Unentschieden enden. Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen in der polnischen Hauptstadt hat zwar einen EM-Austragungsort, aber die Spieler sind derzeit nicht in Weltklasseform.

Deutschland, einst als Vorreiter im Klimaschutz weltweit gefeiert, steckt mitten in Koalitionsverhandlungen. Angela Merkel muss erst wieder die Klimakanzlerin in sich entdecken; nebenbei könnte sie damit das Manöver in Brüssel, bei dem strengere CO2-Werte für Pkw ausgebremst wurden, vergessen machen. Immerhin will Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) nächste Woche nach Warschau reisen — Koalitionsverhandlungen hin oder her.

Die USA bleiben zwar weltweit die führenden Energieverschwender, geraten aber in die Versuchung, sich auf ihren rückläufigen Treibhaus-Mengen auszuruhen. Es sind jedoch falsche Lorbeeren: Die Ansätze von Präsident Barack Obama zum Klimaschutz greifen noch längst nicht; was sich günstig auswirkt, ist der zunehmende Einsatz von Gas statt Kohle, weil das umstrittene Fracking die Gewinnung großer heimischer Gasmengen ermöglicht.

Weder der Musterknabe noch der Hauptsünder ist also derzeit zu großen Veränderungen bereit. Und das Gastgeberland Polen setzt in einem Ausmaß auf Kohle als Energieträger, dass es Klimaschützern im wahrsten Sinne des Wortes schwarz vor Augen werden kann. Im zentralpolnischen Belchatow steht das größte Braunkohlekraftwerk der Welt — ein Klimakiller erster Güte. Die polnische Regierung hat bislang mit Erfolg verhindert, dass die Europäische Union ihr Klimaschutzziel von derzeit 20 Prozent CO2-Einsparung im Vergleich zu 1990 auf minus 30 Prozent verschärft.

Von der Sachlage her sind die Erfolgsaussichten der Konferenz also eher bescheiden. Anders sieht es bei der emotionalen Lage aus. Der Gefühlsausbruch des philippinischen Delegierten Naderev Saño rührte manchen Konferenzteilnehmer zu Tränen. Mit Blick auf die Opfer der Taifun-Katastrophe in seiner Heimat will Saño fasten, bis die Konferenz greifbare Ergebnisse erbringt. Wörtlich forderte er: "Lasst uns diesen Wahnsinn stoppen."

Zwar ist es nicht möglich, eine einzelne Wetterkatastrophe wie den verheerenden Taifun "Haiyan" ursächlich auf den Klimawandel zurückzuführen. Sehr deutlich zeichnet sich aber ein Zusammenhang zwischen der steigenden Durchschnittstemperatur und der Anzahl und Heftigkeit von Wetterextremen ab. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit besteht dieser Zusammenhang beispielsweise bei der Dürre 2011 in den Südstaaten der USA oder 2003 beim heißesten Sommer in Mitteleuropa seit einem halben Jahrtausend, der schätzungsweise 70 000 Hitzetote forderte.

Gestern stellte Germanwatch am Rande des Warschauer Gipfels zum neunten Mal den aktuellen "Klima-Risiko-Index" vor. Die Organisation, die sich als Lobby-Gruppe für Umwelt und Dritte Welt versteht, hat unter anderem Daten des weltweit größten Rückversicherers Munich Re über die Schadenssummen ausgewertet.

Oben auf dem Index — der beschreibt, wie stark ein Land von Wetterextremen betroffen ist — stehen Staaten, die gering entwickelt sind. Deutschland zum Beispiel rangierte 2012 nur auf Platz 67. Dieser Trend gilt auch langfristig: Im Index für die vergangenen zwei Jahrzehnte ist unter den ersten zehn Staaten kein einziges Industrieland zu finden. Fatalerweise treffen die Folgen des dort ausgelösten Klimawandels ausgerechnet die weniger entwickelten Länder wie Bangladesch, Honduras oder die Mongolei am härtesten. Die Philippinen belegen auf dieser Rangliste Platz Sieben.

Beim bislang einzigen (und inzwischen ausgelaufenen) globalen Klimaschutzabkommen, dem sogenannten Kyoto-Protokoll, hatten sich nur die Industrieländer zu vergleichsweise bescheidenen Zielen verpflichtet. Das seit Jahren angestrebte Nachfolgeabkommen soll auch die Schwellen- und Entwicklungsländer einbeziehen.

Damit gerät nicht nur China, dessen kolossales Wachstum so manche Diskussion lähmt ("Was sollen wir hier ein paar Hundert Tonnen CO2 mühselig einsparen, wenn die Chinesen pro Woche ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb nehmen?") in den Fokus, es werden auch die Verpflichtungen den Realitäten angepasst. Während 1990 zwei Drittel der Treibhausgas-Emissionen aus den Industriestaaten stammten, ist mittlerweile ein Gleichstand zwischen den industrialisierten und den sich entwickelnden Ländern erreicht. Für 2020, so das Bundesumweltministerium, wird erwartet beziehungsweise befürchtet, dass zwei Drittel der Emissionen auf der Südhalbkugel entstehen.

Die Schwellen- und Entwicklungsländer, die bislang am intensivsten von den negativen Folgen des Kohle-, Gas- und Ölzeitalters betroffen sind, wollen verständlicherweise nur sehr begrenzt mit in die Haftung genommen werden. Sie wehren sich gegen Verpflichtungen, die ihre Entwicklung bremsen könnten. Mit Zugeständnissen ist nur dann zu rechnen, wenn die Industrieländer endlich ernst mit ihren Zusagen machen, bei der Bewältigung der Schäden durch den Klimawandel (Ernteausfälle, Verwüstungen) finanziell zu helfen.

Ein Ziel für die Warschauer Konferenz könnte es sein, den bislang nur auf dem Papier existierenden Klimafonds mit Geld zu füllen; 100 Milliarden Dollar jährlich sind bis 2020 geplant.Dann kann es in der Folge bis zur Klimakonferenz 2015 in Paris vielleicht gelingen, ein neues globales Klimaschutzabkommen auf den Weg zu bringen — das "Paris-Protokoll". EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard kündigte finanzielle Zusagen an die Entwicklungsländer an.

(RP)
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