Kohl mahnt Merkel

Der Ex-Kanzler und CDU-Chef hat mit einem Appell zur atom- und industriepolitischen Vernunft seiner "Schülerin" Angela Merkel so unverblümt wie revanchebereit ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.

Düsseldorf "Eisern Vieh stirbt nie" – so überschrieb einst der legendäre Bonner Hofchronist Walter Henkels sein Stück über die CSU-Ikone Franz Josef Strauß. "Eisern Vieh vergisst nie" – so ließe sich der plakativ formulierte Aufruf zur atom- und industriepolitischen Vernunft interpretieren, den die CDU-Ikone Helmut Kohl gestern in der "Bild"-Zeitung veröffentlicht hat. Was wie ein Kohl'sches "Deutsche, lasst die Tassen im Schrank" klingt, liest sich auch als ein miserables Zeugnis im Fach Politik, ausgestellt für Kohls "Schülerin" Angela Merkel, die Kanzlerin der hektischen, zudem wenig glaubwürdigen Volte bei der Kernenergienutzung.

Wer das teilweise bittere Lebensbuch von Kohls ältestem Sohn Walter über den im Politischen wie im Familiären unerbittlichen Vater liest, begreift, dass Helmut Kohl nicht nur seinem hadernden Filius eingebläut hat, sondern auch der schwankenden Nachfolgerin im Regierungs- und Partei-Spitzenamt einzutrichtern versucht: "Du musst stehen!"

Im Übrigen: Revanchelust konnte und kann man bei Kohl, der am 3. April 81 Jahre alt wird, immer unterstellen – mehr denn je, seit ihn maßgeblich die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel in der Spendenaffäre 1999/2000 in die Sünder-Ecke bugsiert hat. Rache müsse man kalt genießen – dieses Sprichwort hatte schon Kohls verehrtes politisches Vorbild, der bundesrepublikanische Urkanzler Konrad Adenauer, kühl bis ans Herz zitiert. Es ist nicht so, dass der im Rollstuhl sitzende Kanzler der Einheit und Ehrenbürger Europas von Angela Merkels politischer Führungskunst ebenso wenig hält, wie das Adenauer tat im zerrütteten Verhältnis zu seinem Nachfolger Ludwig Erhard. Auch wenn dem CDU-Boss a.D. in den vergangenen zehn Jahren vereinzelt sarkastische Bemerkungen über Merkel, etwa "die Pfarrerstochter, die famose" zugeschrieben wurden, so zeigten sich Kohl und sein einstiges "Mädchen" bei wenigen offiziellen oder halboffiziellen Anlässen doch gebremst harmonisch. Sie lobte die Kühnheit ihres Vor-Vorgängers im historischen Moment der Wendezeit 1989/90, er guckte dazu ernst und wohlgefällig, manche meinten: selbstgefällig in die Runde und auf die um 24 Jahre Jüngere.

Ein Herz und eine Seele wurden sie seit der stürmischen Trennungsgeschichte 1999/2000 nicht mehr. Auch dazu kann man wiederum das Verhältnis zwischen Helmut Kohl und Sohn Walter zu Rate ziehen. Ein Vater, der seinem Ältesten, dessen Plaudereien über Familiäres der Alte für Verrat hielt, auf die Frage "Willst du die Trennung?" so hart wie lakonisch antwortet "Ja", der hat für – aus seiner Sicht – politischen Verrat erst recht ein Elefanten-Gedächtnis. Kohl sah sich in 25 Jahren an der Spitze der CDU stets als eine Art Familienoberhaupt, das umso mehr Zusammenhalt und Kameradschaft verlangt, je stärker widrige Winde ums Haus wehen.

Aus Kohls Sicht, auch aus derjenigen seiner nach wie vor großen Anhängerschaft in der Union, hat Merkel, die bloß "gelernte Christdemokratin" (Politikwissenschaftler Gerd Langguth), ihm die unbedingte Kameradschaft mit dem berühmt-berüchtigten Scheidungs-Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Ende 1999 gekündigt. Kohl und seine Freunde sehen es so: Sie hat dem Taumelnden nicht die Hand, vielmehr einen Tritt gegeben.

Nun, wo das Murren über Merkels politische Beliebigkeit, ihr bloßes Fahren auf Sicht in der Union wieder lauter, an dem nicht rational begründeten Atom-Moratorium erkennbar wird, macht sich Kohl zum Anwalt politischer Stetigkeit am Industriestandort Deutschland. Der kann nach seinem Befund nur um den Preis ökonomischer Verzwergung Hals über Kopf aus der Kernenergie-Nutzung aussteigen. Kohl plädiert nach der Japan-Katastrophe nicht töricht für ein "Weiter so", aber er mahnt, nicht den Kopf zu verlieren und sich dadurch nicht womöglich von weniger sicheren Atomanlagen im Ausland abhängig zu machen.

In Merkels Ohren muss es beinahe schon wie politische Schulmeisterei klingen, wenn ihr der berühmte Alte aus Oggersheim ins Stammbuch schreibt: "Das Leben ist ohne Risiken nicht zu haben. Wer den Menschen dies verspricht, sagt schlicht die Unwahrheit." Der vor der wichtigen Baden-Württemberg-Wahl auf manche zappelig wirkenden Kanzlerin hält Kohl in gewohnter politischer Robustheit entgegen: Wenn das Land, dessen Kernkraftwerke zu den sichersten der Welt gehören und dessen Ingenieurskunst in der ganzen Welt bewundert und geachtet würden, überhastet aus der Atomkraft ausstiege, würde dies die Welt sogar gefährlicher machen. Kohls Artikel in der ihm seit Jahren eng verbundenen "Bild"-Zeitung (wir dokumentieren die wesentlichen Passagen rechts) besäße weniger Wucht, wenn die Kanzlerin und CDU-Chefin nicht immer wieder den Eindruck erweckte, als sei ihr das konservative Tafelsilber der Partei nicht so wichtig wie eine vage politische Modernität. Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter hat es einmal so formuliert: Merkel sei eine kühle Technikerin der Macht, ihr fehle nach Ansicht ihrer CDU-Kritiker eine Ader für das, was CDU ausmache. Merkel, so Oberreuter, sei der exponierte Fall des modernen ostdeutschen Wählertyps, der sich nach Nutzenkalkül und nach sonst nichts entscheidet. Für viele Kohl-Nostalgiker ist die Union keine politische Familie mehr, sondern nur noch ein scheinkonservativer Verein, immer bereit zu politisch korrekten, im Augenblick gefälligen Antworten.

(RP)
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