Kolumne Mit Verlaub! Augstein hätte geschrieben: "Glückwunsch, Lindner"

Düsseldorf · Vor 15 Jahren starb der legendäre "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein. Er war ein politischer Anti-Romantiker.

 Unser Autor Reinhold Michels.

Unser Autor Reinhold Michels.

Foto: Michels

Morgen ist es 15 Jahre her, dass im Hamburger "Michel" die Trauerreden auf Rudolf Augstein gehalten wurden. Man darf spekulieren, wie der Verleger und Journalist Augstein in seinem "Spiegel" über den Schlag geschrieben hätte, mit dem Liberalen-Chef Christian Lindner die kunterbunte Reisegruppe nach Jamaika auseinandergetrieben hat. Einer der Trauerredner zitierte damals Augsteins Satz, dass man der Verwechslung von Politik und Romantik nur einmal im Leben zum Opfer fallen dürfe, und das auch nur "in kindsköpfigen Tagen".

Wer sich die Stellungnahmen zu Lindners "Mit uns nicht!" vergegenwärtigte, mochte denken: Da haben viele ihr Romantik-Konto überzogen. Es fehlte nicht viel, dass einige Jamaika-Ausflügler Tränen vergossen hätten ob der vergebenen Chance, vom kleinen Deutschland aus die Welt und das Klima gleich mit zu retten.

Keiner Partei gelingt es so gut wie den Grünen, Romantik mit Politik zu vermengen. Sie sind die Hoch-und Deutschmeister im Luftreich der Träume. Dem FDP-Chef gebührt das Verdienst, ausgesprochen zu haben, was jeder, der keine politischen Tagträume hatte, seit Wochen wahrnahm: dass diese stolpernde Wandergruppe von zwei politisch Fußkranken, den Wahlverlierern Merkel und Seehofer, angeführt wurde.

Die beiden hielten den Weg schon für das Ziel, raunten im Verein mit Minister-Anwärtern von Verantwortung für das Ganze, irgendwie auf Marscherleichterung durch listige Rucksackträger und publizistische Marketender vertrauend. Die Erfahrung, dass man nur lange genug ausharren müsse, um den Erschöpften ringsum ein todmüdes Ja zu entlocken, nutzte der Union bei dem jungen Lindner nicht.

Augstein, der für die FDP einmal kurz im Bundestag saß, verbreitete zeitlebens Distanz um sich. Er schrieb, was viele dachten, einigen missfiel und die meisten nicht auszusprechen wagten. Vermutlich hätte er sich dennoch ein "Glückwunsch, Lindner" abgerungen, nachdem dieser die auch ohne Jamaika-Rum nicht immer nüchtern wirkenden Romantiker kühl vor den Kopf gestoßen hatte.

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(mc)
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