Potsdam/Erfurt Kopf-an-Kopf-Rennen in Thüringen

Potsdam/Erfurt · Ex-Ministerpräsident Stolpe: Ein wunderbarer Abend für die SPD. In Thüringen lässt sich CDU-Regierungschefin Lieberknecht feiern.

 "Der glücklichste Tag in meinem Leben": Der brandenburgische AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland bei der Wahlparty seiner Partei.

"Der glücklichste Tag in meinem Leben": Der brandenburgische AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland bei der Wahlparty seiner Partei.

Foto: dpa, jhe

"Zehn ..., neun ... acht ..." zählen die Menschen in dem Potsdamer Restaurant. Eine Videoleinwand blendet die 18-Uhr-Prognose ein. Als das helle Blau der AfD erscheint, erschallt ohrenbetäubender Jubel der Anhänger der erst im vergangenen Jahr gegründeten Alternative für Deutschland (AfD). Zwölf Prozent der Stimmen prognostizieren ihnen die Wahlforscher. Auf der Bühne stehen Parteigründer Bernd Lucke, dazu die Europaabgeordnete Beatrix von Storch und Spitzenkandidat Alexander Gauland. "Auch wenn man Privates nicht mit Politischem vermischen darf: Es ist der glücklichste Tag in meinem Leben", sagt Gauland. Von der AfD werde viel erwartet. Und man müsse noch viel lernen. Aber "wir sind jetzt in der deutschen Politik angekommen".

Die SPD feiert wenige Hundert Meter entfernt im Potsdam-Museum. Auch hier herrscht gute Stimmung, denn die Partei ist auch in diesem Jahr der klare Wahlsieger. Mittendrin steht ein weißhaariger, älterer Mann; die Freude steht ihm ins Gesicht geschrieben. "Es ist ein kleines Wunder, wie der Lausitzer Dietmar Woidke es geschafft hat, in wenigen Monaten die Herzen der Menschen zu erreichen", sagt Manfred Stolpe, der erste Ministerpräsident Brandenburgs. Und dann kommt Dietmar Woidke. "Es ist ein wunderbarer Abend für die SPD in Brandenburg", sagt der alte und neue Ministerpräsident. "Wir sind auch weiterhin die Brandenburg-Partei."

Ob es in der Mark mit Rot-Rot weitergeht, oder doch eher ein schwarz-rotes Bündnis auf der Agenda steht, sagt Woidke nicht.

Die CDU dagegen veranstaltet als einzige Partei in Potsdam ihre Wahlparty in der Parteizentrale. Dort herrscht um 18 Uhr ebenfalls gelöste Stimmung. "Wir haben im Wahlkampf klar gemacht, dass wir Brandenburg besser machen wollen", sagt CDU-Spitzenkandidat Michael Schierack. "Wir haben klar zugelegt, deutlich gewonnen - und Rot-Rot hat deutlich verloren. Rot-Rot wurde abgestraft wegen Intoleranz und Überheblichkeit", meint Schierack, bevor er im Auto zum Landtag fährt. Nun komme es auf die Sondierungsgespräche mit der SPD an. Enttäuscht dagegen zeigt sich Finanzminister Christian Görke (Linke). 19 Prozent sagen die Hochrechnungen für seine Partei: "Das ist nicht unser Traumergebnis."

Ortswechsel: Wenn man in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt aus dem Hauptbahnhof tritt, fallen die riesigen Buchstaben auf dem Dach des Gebäudes auf, das einst das Hotel "Erfurter Hof" war: "Willy Brandt ans Fenster", steht dort zu lesen. Erinnerung an den legendären Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) 1970 in Erfurt, mitten in der DDR. Das ostdeutsche Volk hatte damals nach dem westdeutschen Kanzler wie nach einem Popstar gerufen; die SED-Bonzen waren darüber nicht amüsiert. Was hätte Brandt dazu gesagt, dass in Erfurt womöglich bald Bodo Ramelow von der SED-Nachfolgepartei "Die Linke" als Ministerpräsident vom Fenster der thüringischen Staatskanzlei grüßt? "Der Willy hätte das nicht gewollt, dass seine SPD sich dem Ramelow an den Hals schmeißt", meinte in einem Café ein Paar aus Jena. "Ätsch, der Ramelow hat sich zu früh gefreut", riefen fünf junge Leute, die im Traditions-Restaurant "Hopfenberg" ihrer Spitzenkandidatin Christine Lieberknecht (CDU) zujubelten. Die Ministerpräsidentin, die nicht weiß, ob sie es am Ende auch bleiben wird, strahlte und rief fünf Mal hintereinander "Ja". Die CDU klatschte sich rhythmisch warm: Nach 25 Jahren an der Regierung wieder stärkste Kraft. "Klasse" fand das Fraktionschef Mike Mohring, einer der Jüngeren, den die Schwarzen in Thüringen einen "wirklich Guten" nennen.

Ramelow nahm auf der Linken-Wahlparty ein Wort seiner Bundesvorsitzenden Katja Kipping auf: "Der Tatort kommt heute Abend aus Erfurt, das wird noch eine hoch spannende Nacht." Ramelow verkörpert den alten Spruch, wonach die Hoffnung zuletzt stirbt. Vielleicht reicht es ja doch für die von ihm so apostrophierte "Reformkoalition" aus Linkspartei, SPD und Grünen. Ein Linkspartei-Aktivist meinte hämisch: "Die Taubert hat's verbockt." Heike Taubert, die SPD-Spitzenkandidatin, sprach von einem bitteren Resultat. Und als schwante der Noch-Sozialministerin, die am Dienstag schon nicht mehr an der letzten Kabinettssitzung bei Lieberknecht teilgenommen hatte, etwas, ermahnte sie ihre tief enttäuschten Anhänger, jetzt keine "Köpfe rollen" zu lassen. Taubert hatte immer nur so getan, als würde die SPD mit der Linken regieren, aber sie hat es nie deutlich gesagt. "Weder Fisch noch Fleisch", zischten zornige Besucher der Linken-Wahlparty. Sie hatten Ramelow vor 18 Uhr schon als großen Sieger betrachtet und in der Staatskanzlei gesehen. Das Feiern ist den Linken schnell vergangen. Warten und noch mal warten, ob sich Rot-Rot-Grün nicht doch rechnet.

Und die anderen? Bei der SPD kam nicht eine Sekunde lang Feierlaune auf. Stattdessen Gesichter mit Zügen von Entsetzen. Die Raketenstarter der AfD schienen dagegen vor Stolz schier zu platzen. Grünen-Spitzenkandidatin Anja Siegesmund tat dauerlächelnd so, als gehöre sie mit 5,5 Prozent zu den Gewinnern. Die FDP hatte sich schon vor dem Wahltag aufgegeben und sich in schwärzesten Humor geflüchtet. Ihr Plakatspruch "Wir sind dann mal weg" entpuppte sich gestern als das, was Strafrechtler "Tötung auf Verlangen" nennen.

(RP)
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