Istanbul Korruptionsaffäre bringt Erdogan in Not

Istanbul · Die islamische Gülen-Bewegung hat sich mit dem türkischen Premier überworfen. Der Machtkampf wird mit allen Mitteln geführt.

Der machtgewohnte türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gerät im eigenen Land unter Druck wie nie zuvor seit seinem Machtantritt vor mehr als zehn Jahren. Auf Anordnung eines Istanbuler Staatsanwalts wurden in dieser Woche 37 Personen unter Korruptionsverdacht festgenommen, darunter die Söhne von drei Ministern der Erdogan-Regierung und ein mächtiger Kommunalpolitiker der Erdogan-Partei AKP. Beobachter werteten die Festnahmen als Aktion der einflussreichen Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die sich mit Erdogans religiös-konservativer Regierung überworfen hat. Die Opposition forderte Erdogan und die Minister zum Rücktritt auf, doch der Premier erklärte, er werde sich nicht beugen.

Bei Zugriffen und Durchsuchungen nahm die Polizei unter anderem den reichen Bauunternehmer Ali Agaoglu, den Chef der staatlichen Halkbank, Süleyman Aslan, sowie den AKP-Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Fatih, Mustafa Demir, fest. Die Söhne von Innenminister Muammer Güler, Wirtschaftsminister Zafer Caglayan und Bauminister Erdogan Bayraktar kamen ebenfalls in Gewahrsam.

Den Verdächtigen werden Bestechung, Geldwäsche und Goldschmuggel vorgeworfen. Nach unbestätigten Medienberichten könnten die Ermittlungen zudem für vier Regierungsmitglieder auch direkt gefährlich werden: Die drei Minister, deren Söhne festgenommen wurden, sowie EU-Minister Egemen Bagis seien selbst verwickelt, hieß es. Möglicherweise werde der Staatsanwalt die Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Politiker beantragen.

Gülens Bewegung "Hizmet" ("Dienst") hat viele Anhänger im Staatsapparat, auch in der Justiz. Lange Zeit hatte Gülen Erdogans Regierung als ideologischen Bundesgenossen unterstützt, war in den vergangenen Monaten aber von ihr abgerückt; innerhalb von "Hizmet" wurde Kritik an der zunehmend autoritären Politik des Premiers geübt, etwa angesichts der Unruhen vom Sommer. Erdogan steuert den Hardliner-Kurs, weil er vor den Kommunalwahlen im März und den Präsidentschaftswahlen im Sommer die konservativen Wähler um die AKP scharen will; Gülen setzt dagegen auf eine islamisch begründete Reformpolitik. Als Erdogan im Herbst einen Plan zur Beschneidung des Einflusses der Gülen-Bewegung im Bildungssektor vorlegte, brach der Konflikt offen aus.

Die Bewegung handele nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" und eröffne mit den Festnahmen vom Dienstag einen neuen Kriegsschauplatz im Konflikt gegen die Regierung, schrieb der Kommentator Rusen Cakir, ein guter Kenner beider Seiten, auf seiner Website. Schon im vergangenen Jahr hatten Gülen-Anhänger in der Justiz den Premier verärgert, indem sie den Erdogan-Vertrauten und Geheimdienstchef Hakan Fidan vorluden.

Dass die Festnahmen ausgerechnet mit einem Korruptionsverdacht begründet wurden, trifft Erdogan an einer empfindlichen Stelle. Die AK-Partei — "ak" heißt "weiß" auf Türkisch — war 2002 nicht zuletzt als saubere politische Kraft angetreten, die den Korruptionssumpf in Ankara trockenlegen wollte. Nun sieht sich die Partei kurz vor den Kommunalwahlen selbst Bestechungsvorwürfen ausgesetzt.

In einer ersten Reaktion auf die Festnahmen machte Erdogan klar, dass er von einer politisch motivierten Aktion gegen seine Regierung ausgeht. Wenn jemand eine Rechnung zu begleichen habe, solle er das bei den Wahlen tun, sagte er. Die Türkei sei keine Bananenrepublik. Gestern schlug das Pendel dann ein Stück zurück: Polizisten, die an den Einsätzen vom Dienstag beteiligt gewesen sein sollen, wurden nach Medienberichten versetzt.

Trotzdem steht fest, dass Erdogan durch die Affäre geschwächt ist. Bisher galten Minister und andere Vertraute Erdogans als unantastbar — jetzt ist klar, dass die Regierung nicht allmächtig ist. Der Krach mit der Gülen-Bewegung könnte Erdogan viele Stimmen kosten. Die Türkei steht vor neuen politischen Turbulenzen.

(RP)
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