Analyse Kraft-Akt für die NRW-Finanzen

Berlin · In der Debatte um die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen kennt die NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft weder Freund noch Feind, sondern nur ihren eigenen Etat. Sie hat sich mit fast allen Länder-Kollegen angelegt.

Noch vor einem Jahr ließ sich NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Arm in Arm mit Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke fotografieren. Damals sorgte sie unter Genossen für ein wenig Glanz im Wahlkampf des kleinen ostdeutschen Bundeslandes. Kuscheln ist zwischen der mächtigen NRW-Regierungschefin und dem Ostdeutschen aber längst nicht mehr angesagt.

Im Gezerre um die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen stehen sich NRW und die ostdeutschen Bundesländer unversöhnlich gegenüber. "Bitte bleiben Sie sachlich, Frau Kollegin", mahnte unlängst bei einem Treffen der Regierungschefs der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) die Landesmutter aus Düsseldorf. Kraft, die hinter verschlossenen Türen ebenso hartleibig sein kann, wie sie es auf dem Marktplatz versteht, Herzen zu gewinnen, ist in einer schwierigen Lage. Die Mehrheit der Bundesländer verfolgt aus unterschiedlichen Gründen schlicht andere Interessen als NRW. Damit ist Kraft zu einer einsamen Kämpferin geworden. Manchen mit den Bund-Länder-Gesprächen Vertrauten erinnerten Krafts Auftritte in den Regierungschef-Runden an die frühere britische Premierministerin Margret Thatcher auf europäischem Parkett. Die forderte von der EU: "I want my money back." (Ich will mein Geld zurück.)

Bei der anstehenden Reform geht es um die Finanzausstattung der Länder für viele Jahre. Ende 2019 läuft der Solidarpakt II für die neuen Länder aus, die dann kein Geld mehr aus dem Solidaritätszuschlag bekommen werden. Bund und Länder wollen das zum Anlass nehmen, auch den Länderfinanzausgleich neu zu regeln. Bislang gilt NRW hier als Nehmerland. Kraft wird allerdings nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Nordrhein-Westfalen seinerseits durch die Vorab-Umverteilung von Umsatzsteuereinnahmen unter den Ländern eigentlich zu den Geberländern gehöre.

Für Kraft hängt viel am Ausgang der Reform. Als "Schuldenkönigin" verschrien muss sie sich in NRW immer wieder anhören, sie könne nicht mit Geld umgehen. Sie wird belächelt für ihren Ansatz der vorsorgenden Sozialpolitik: Heute Geld für soziale Projekte ausgeben, um in der Zukunft weniger Sozialausgaben tätigen zu müssen. NRW-Oppositionsführer Armin Laschet (CDU) rechnete Kraft in der jüngsten Haushaltsdebatte vor, neun Bundesländer schrieben bereits schwarze Zahlen. Und die Hälfte der neuen Schulden, die die anderen sieben Länder noch zusammen machten, entfielen auf NRW.

Mitte Juli sah sich Kraft bei der Bund-Länder-Finanzreform schon fast am Ziel: Olaf Scholz, Hamburgs Erster Bürgermeister, Koordinator der SPD-Länder und Schäuble-Vertrauter, hatte ihre zentrale Reformforderung in sein Konzept übernommen. Der Hamburger Bürgermeister gehört zu ihren wenigen verbliebenen Freunden in der Riege der Länder-Chefs. Mit ihm verbindet Kraft seit Jahren ein Vertrauensverhältnis. Und seitdem sich die NRW-Ministerpräsidentin selbst aus dem Rennen genommen hat, eines Tages als Kanzlerkandidatin anzutreten, können Scholz und Kraft auch nicht mehr in einen Konflikt geraten, wer auf Bundesebene die wichtigere Rolle spielt. Kraft will dort auch gar keinen eigenständigen Part übernehmen. Ihren Einfluss setzt sie zuvorderst für NRW ein.

Scholz legte den SPD-Ministerpräsidenten am 10. Juli ein Papier vor, das er in Grundzügen mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) abgestimmt hatte. Wichtigster Punkt: Die Umverteilung der Umsatzsteuer von reichen zu ärmeren Ländern, die dem eigentlichen Länderfinanzausgleich vorgeschaltet ist, soll ab 2020 wegfallen. Dadurch würde Kraft zur Reformgewinnerin und endlich wieder mehr Geld für den Westen frei. Denn NRW würde im eigentlichen Länderfinanzausgleich ab 2020 vom Empfänger- zum Geberland - ein Imagegewinn.

Wenn sich Kraft durchsetzt und es beim Juli-Vorschlag von Scholz bleibt - und danach sieht es momentan aus - , würde NRW nominal gesehen mit Abstand am meisten profitieren: Das Land würde ab 2020 insgesamt um jährlich 1,9 Milliarden Euro entlastet. Auch in der Pro-Kopf-Betrachtung des Reformergebnisses schnitte das Land an Rhein und Ruhr nicht schlecht ab, läge es doch im Ländervergleich leicht über dem Durchschnitt mit einem Plus pro Einwohner und Jahr von 109 Euro.

Noch murren die Ost-Ministerpräsidenten vor der möglicherweise entscheidenden nächsten Kaminrunde der Regierungschefs am 9. September. Sie lehnen den Wegfall des sogenannten Umsatzsteuervorwegausgleichs vehement ab. "Die beste Lösung wäre, wenn alles so bliebe, wie es heute ist", sagt Woidke. Doch er fügt erstmals hinzu, dass die Ost-Länder dies akzeptierten, wenn sie einen angemessenen Ersatz erhielten. Noch ist offen, ob die Einigung gelingt. Die Ost-Länder könnten Scholz und Schäuble etwa mit einem "Dreiklang" aus einer stärkeren Einbeziehung reicher Kommunen in den Länderfinanzausgleich, dem Erhalt der Umsatzsteuerumverteilung in einem geringeren Umfang als bisher und mehr Bundes-Sonderergänzungszuweisungen locken.

Bisher hatte der Bundesfinanzminister den Ländern insgesamt 8,5 Milliarden Euro ab 2020 angeboten. Möglicherweise öffnet er für den Frieden unter den Ländern wieder seine Schatulle und packt eine weitere Milliarde für die Ost-Länder drauf. Schließlich steigen die Einnahmen aus dem Soli, die allein dem Bund zustehen, in den kommenden Jahren weiter deutlich, Schäuble hätte also genug in der Kasse.

Spätestens bei der Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Oktober soll der Sack zugemacht werden. Gelingt der Durchbruch, gibt es vor allem eine Gewinnerin: Hannelore Kraft.

(mar / qua)
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