Berlin Kretschmann, der heimliche Grünen-Chef

Berlin · Angesichts seines beeindruckenden Wahlerfolgs in Baden-Württemberg verstummen die Parteilinken.

Er ist die Hauptperson an diesem Tag nach seinem fulminanten Sieg bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, doch Winfried Kretschmann gibt sich bescheiden und geduldig wie immer. Schweigend wartet der Ministerpräsident ab, bis er sprechen darf, fast muss ihn Grünen-Parteichefin Simone Peter dazu auffordern. Doch dann spricht Kretschmann, und alles, was er sagt, hört sich an wie eine staatsmännische Anleitung zum politischen Erfolg, gerichtet vor allem auch an die eigene Partei.

Nach dieser Landtagswahl, bei der erstmals in ihrer Geschichte die Grünen mit 30,3 Prozent stärkste Partei wurden, wird Kretschmanns ohnehin schon einflussreiche Rolle in der Ökopartei noch gewichtiger. Parteichef Cem Özdemir nennt Kretschmanns Kurs in dieser Berliner Pressekonferenz nach dem Wahlsonntag einen "werteorientierten Realismus", manche titulieren ihn auch als "werteorientierten Pragmatismus". Kretschmann selbst sagt, die Grünen in Baden-Württemberg hätten mit ihrer Politik immer schon und nicht erst unter ihm als Ministerpräsident auf die Mitte der Gesellschaft gezielt. Es ist eine bürgerlich-pragmatische Politik mit ökologischem Anstrich, die Kretschmann den Bürgern anbietet - und die weiten Teilen der grünen Partei zu bürgerlich, zu konservativ ist. Doch angesichts seines Erfolgs sind Kretschmanns Kritiker in der Parteilinken vorerst verstummt.

Europa sei in einer "sehr fragilen Situation", sagt Kretschmann am Tag nach seinem Wahlsieg. In der Flüchtlingskrise brauche es eine europäische Lösung, keine nationalistische, denn sonst breche Europa wirklich auseinander. Das habe er in seinen Wahlkampfveranstaltungen herüberbringen können. Die Krise hinter der Flüchtlingskrise sei die Krise der EU, viele Menschen sähen das genauso. "Wir müssen alles tun, damit sich die Rechtspopulisten von der AfD nicht weiter in die Mitte der Gesellschaft vorarbeiten", warnt Kretschmann. Entscheidend sei, dass ein Politiker bei seinen Grundsätzen bleibe. Es brauche eine pragmatische, aber keine beliebige Politik. Sein CDU-Kontrahent Guido Wolf habe laviert, sei erst gegen Merkels Flüchtlingskurs aufgetreten und dann zwei Wochen vor der Wahl wieder umgeschwenkt.

Natürlich müsse man als Politiker "mit seinen Grundsätzen darauf reagieren, was in der Welt passiert", sagt er. Er zitiert den Theologen Karl Rahner: "Dogmen sind wie Straßenlaternen. Sie weisen in der Nacht den Irrenden den Weg. Aber nur Betrunkene halten sich daran fest." Die Union habe nicht verstanden, dass Baden-Württemberg "viel grüner ist, als es der CDU zum Schluss aufgefallen ist". Es gehe darum, das Wirtschaftswachstum vom Naturverbrauch zu entkoppeln, ökologische und ökonomische Ziele zu verbinden. "Uns ist es gelungen zu verdeutlichen, dass wir ein starkes Industrieland führen können."

Ob er das auch in Zukunft tun kann, ist offen. Kretschmann hat zwar die Wahl gewonnen, doch seine Kontrahenten drohen mit einer schwarz-rot-gelben Koalition. "Ich weiß nicht, ob das in diesen schwierigen Zeiten die richtige vertrauensbildende Maßnahme wäre", sagt Kretschmann. Er jedenfalls werdejetzt mit allen Parteien reden.

(mar)
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