Propaganda, Manipulation und Desinformation Der Krieg und die Wahrheit

Düsseldorf · Noch nie gab es so viele Informationen über Krisen und Konflikte. Gleichzeitig war es aber auch noch nie so schwierig, Wirklichkeit und Lüge auseinanderzuhalten. Damit müssen die Medien offen umgehen.

 Das von der "Syria Civil Defence" (Weißhelme) am 4. April 2017 zur Verfügung gestellte Foto, zeigt Freiwillige Helfer, die Opfer eines mutmaßlichen Giftgasangriffs in Chan Scheichun, Syrien, versorgen.

Das von der "Syria Civil Defence" (Weißhelme) am 4. April 2017 zur Verfügung gestellte Foto, zeigt Freiwillige Helfer, die Opfer eines mutmaßlichen Giftgasangriffs in Chan Scheichun, Syrien, versorgen.

Foto: dpa

Hiram Johnson war ein amerikanischer Senator und Mitglied der Republikaner. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war er in den USA ein Wortführer der Isolationisten, die ihr Land heraushalten wollten aus den Welthändeln. "Wenn der Krieg ausbricht, ist das erste Opfer die Wahrheit", soll Johnson 1919 begründet haben, warum er den von Präsident Woodrow Wilson geforderten Völkerbund strikt ablehnte. Sich herauszuhalten aus dem Krieg, einfach nicht darüber zu schreiben - diese Option haben die Medien nicht. Aber seit Journalisten über Kriege berichten, kämpfen sie auch mit der Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Heute wohl mehr denn je.

Im zweiten Golfkrieg von 1991 war noch klassische Zensur das Problem: Die Informationen über die Operation "Desert Storm" wurden von den Militärs derart streng gefiltert, dass die blutigen Kämpfe, bei denen auch zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen, in den Medien wirkten wie ein klinisch sauberes Videospiel. Seither ist den meisten Journalisten durchaus bewusst, wie schmal der Grat ist, auf dem sich die Berichterstattung über solche modernen Konflikte bewegt. Dutzende von Studien haben die damalige Arbeit der Medien seziert, es wurde über die Objektivität und Angemessenheit der Berichte gestritten, über die Wortwahl in den Texten, den Einfluss der Militärzensur und den Wert einer Truppenbegleitung durch "eingebettete Journalisten".

Nicht Informationsmangel sondern -übersättigung ist das Problem

Aber das alles ist ein Vierteljahrhundert her. Seit das Satellitenfernsehen und soziale Netzwerke eine totale Abschottung des Schlachtfelds so gut wie unmöglich machen, seit die moderne digitale Medientechnik in Echtzeit scheinbar authentische Bilder vom Krieg liefert, hat sich das Problem verlagert: Nicht der Mangel an Informationen durch Zensur ist das größte Problem, sondern vielmehr die Informationsübersättigung.

Propaganda gehörte immer schon zum Krieg, aber wohl noch nie waren die technischen Möglichkeiten der Manipulation und Desinformation so mächtig wie heute. Das Internet dient als Transmissionsriemen, um Informationen in Text und Bild rasend schnell zu verbreiten, ohne dass eine unmittelbare Überprüfung ihres Wahrheitsgehaltes möglich wäre. Und im Wettlauf zwischen Information und Desinformation haben es die Cyberkrieger mit ihren Lügengeschichten nun mal leichter als sorgfältig arbeitende Journalisten. Sie wissen: Wenn es ihnen mit ihren "alternativen Wahrheiten" nur gelingt, bei den Lesern Zweifel an der Darstellung der Medien zu wecken, haben sie schon gewonnen.

Dagegen helfen den Journalisten nur Sorgfalt und Skepsis, ja Misstrauen: In allen Kriegen kommt es zu Falschmeldungen, jede Konfliktpartei versucht, den Feind möglichst schlecht dastehen zu lassen und die eigenen Verbrechen unter den Teppich zu kehren. Faire Berichterstattung bedeutet, die Fakten von allen Seiten zu beleuchten. Nachrichten müssen auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft werden - durch Bestätigung aus weiteren Quellen, durch eine Plausibilitätsprüfung, immer häufiger auch durch akribischen Vergleich von Bildmaterial.

Und wenn dies sich als unmöglich erweisen sollte, dann müssen die Medien dies transparent machen: Wenn unsichere Informationen bereits zirkulieren, dann muss wenigstens kenntlich gemacht werden, aus welcher Quelle sie stammen und dass sie unabhängig zunächst nicht überprüft werden konnten. Etliche Journalisten haben die Ausübung ihres Berufes in den Kriegsgebieten im Nahen Osten bereits mit dem Leben bezahlt. So wird die Berichterstattung häufig notgedrungen ausgelagert an Bewohner der umkämpften Gebiete. Die Überprüfung der Informationen, die sie an die Außenwelt liefern, ist stets schwierig. Sie ist aber unverzichtbar. Denn wer mag schon glauben, dass diese Ortsansässigen völlig neutral aus Gebieten berichten können, die unter der Herrschaft einer Konfliktpartei stehen?

Wie bewertet man Informationen aus lokalen Quellen?

Um Informationen aus lokalen Quellen bewerten zu können, benötigt man Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse, betont der Schweizer Journalist Kurt Pelda, ein erfahrener Kriegsreporter, der allein in den ersten drei Jahren seit Ausbruch des Syrien-Konflikts 2011 über ein Dutzend Mal zur Recherche im Land war. "Man muss ein Netzwerk haben, man muss Leute haben, die einem Dinge erklären, man muss auch Leute mit verschiedenen Ansichten haben", betont Pelda. Nur dann könne man ein realitätsnahes Bild der Verhältnisse zeichnen. Denn viele Informationen über einen Krieg bedeuten eben noch kein Wissen über den Konflikt.

Ausgewogen zu berichten, keine Verbrechen von keiner Seite zu verschweigen, das bedeute lange noch nicht, dass man als Kriegsberichterstatter neutral bleiben könne, sagt Pelda. Natürlich nehmen auch Journalisten, die mit dem Grauen des Krieges konfrontiert sind, moralische Bewertungen vor.

Deswegen ist es schwierig, ja wahrscheinlich unmöglich, vollkommen objektiv über Kriege zu berichten. Aber die Schlussfolgerung kann nicht sein, dass die Medien keine Einordnung und Bewertung mehr wagen, weil ja angeblich alle Kriegsparteien gleich schlimm sind. Und erst recht kann es nicht bedeuten, dass die Presse ihre Arbeit einstellt und die Information über Konflikte und ihre Opfer den Propagandisten überlässt.

(RP)
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