Muslimische Minderheit auf der Halbinsel Die Krimtataren fürchten Russland

Bachtschyssaraj · Die muslimische Minderheit erwartet den Ausgang des umstrittenen Referendums über die Zukunft der Halbinsel mit Beklemmung. Im Streit um die Krim, die ihre Heimat ist, fühlen sich die Krimtataren zwischen allen Fronten.

Die Türme und Mauern des Khan-Palasts in Bachtschyssaraj leuchten in der Nachmittagssonne. Vom Minarett der nahe gelegenen Moschee ruft ein Muezzin zum Gebet. Salija Fatanschijewa nimmt einen Schlüssel und schließt den Ausstellungsraum im Palast ab. Für die 60-jährige Museumswärterin beginnt der Feierabend. Ruhe findet sie nicht. "Wir machen uns große Sorgen. Man weiß ja nicht, was nach dem Referendum kommt", sagt sie. Fatanschijewa ist Krimtatarin. Der Khan-Palast erinnert an die Blütezeit dieses muslimischen Turkvolks, das einst die Krim und Teile Südrusslands beherrschte. Heute sind die 250.000 Krimtataren eine ethnische Minderheit, die sich im russisch-ukrainischen Konflikt um die Halbinsel zwischen allen Fronten fühlt.

Am 16. März stimmen die Bewohner der Krim in einem umstrittenen Referendum darüber ab, ob die Region mehr Autonomie innerhalb der Ukraine erhalten soll oder in den Bestand Russlands wechselt. Nachdem der Kreml mit einer Militärbesatzung Fakten geschaffen hat, gibt es am Ausgang des Plebiszits kaum Zweifel. Doch die Krimtataren fühlen sich den rebellischen Ukrainern in Kiew näher als den Russen. Ihre politische Führung hat zum Boykott des Referendums aufgerufen.

Argwohn gegen Moskau

Auch Salija Fatanschijewa will nicht hingehen. Für das Verhalten Moskaus hat sie einen Vergleich: "Das ist doch so, als ob jemand in dein Haus stürmt und sagt: Du sollst jetzt nach meinen Regeln leben." Der Argwohn der Krimtataren gegen die Russen ist historisch begründet. Den stalinistischen Säuberungen der 30er-Jahre fiel fast die gesamte tatarische Elite zum Opfer. Als dann die Krim zwischen November 1941 und April 1944 von der Wehrmacht besetzt war, wandten sich viele den Deutschen zu. Die Besatzer bemühten sich, die Krimtataren — wie übrigens auch andere sowjetische Orientvölker — als Hilfswillige zur Unterstützung der Wehrmacht zu gewinnen. Mithilfe von Berliner Sprachwissenschaftlern fanden die Nazis heraus, was Krimtataren und anderen Muslimen am Sowjetsystem nicht gefiel: Sie klagten über die Kollektivierung, die damit verbundenen Hungersnöte und die Schließung der Moscheen.

Die Deutschen versprachen den Krimtataren mehr nationale Selbstbestimmung. Als Folge einer Werbekampagne in Kriegsgefangenenlagern und Dörfern fanden sich 20.000 tatarische Freiwillige, die in Einheiten der Wehrmacht kämpften. "Der deutsch-sowjetische Krieg verschaffte ihnen die Möglichkeit, auf die Seite derer überzutreten, die sich selber als nationale Befreier ausgaben, und von denen sie meinten, sie würden sich für die Unabhängigkeit ihrer Heimat einsetzen", schreibt der Historiker Joachim Hoffmann in seinem Buch "Die Ostlegionen 1941—43".

Tragisches Missverständnis

Es war ein tragisches Missverständnis. Als die Rote Armee im Frühjahr 1944 die Krim wieder einnahm, ließ Stalin alle Krimtataren als Verräter brandmarken und nach Zentralasien deportieren. Zwar wurden sie vom Obersten Sowjet 1967 rehabilitiert. Eine Erlaubnis, in ihre Heimat zurückzukehren, erhielten sie zu Sowjetzeiten aber nie.

"Ein Anschluss an Russland wäre für die Krimtataren mit das Schlimmste, was passieren könnte", sagt Susan Stewart, Ukraine-Expertin der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Für viele Russen gelten die Tataren immer noch als Verräter, und in der angespannten Stimmung könnten Feindseligkeiten wieder geweckt werden. Die politische Führung der Krimtataren ruft zur Zurückhaltung auf. "Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass sich eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens ausbreitet", sagt Refat Tschubarow, Vorsitzender der Volksvertretung Medschlis. Salija Fatanschijewa seufzt, wenn sie an die Zeit nach dem Referendum denkt: "Die letzten Jahre waren gut und friedlich. Endlich sind wir mal zur Ruhe gekommen."

(RP)
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