Analyse Wie faschistisch ist die Regierung in Kiew?

Kiew · Glaubt man der russischen Propaganda, dann sind in der Ukraine neuerdings vor allem Nationalisten und Antisemiten an der Macht. Experten mahnen zur Wachsamkeit, halten das Problem aber für lösbar.

Julia Timoschenko spricht in Dublin vor Delegierten
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Vor zwei Tagen traf sich Aleksandr Musytschko, Kampfname "Sascha der Weiße", mit Freunden vor einem Restaurant in der westukrainischen Stadt Rowno. Da schlug die Polizei zu. Über alles Weitere gibt es zwei Versionen. Das ukrainische Innenministerium behauptet, Musytschko, der wegen organisierter Kriminalität gesuchte Koordinator der Organisation "Rechter Sektor", habe das Feuer eröffnet und sei erschossen worden. Ein Augenzeuge sagt, die Beamten hätten den Aktivisten gefesselt und durch Schüsse ins Herz getötet.

Der Chef des "Rechten Sektors", Dmitri Jarosch, hat der Regierung deshalb Rache geschworen. Der Vorfall wirft ein Licht auf die Spannungen unter den neuen Machthabern in der Ukraine. "Niemand weiß, wer sich hinter dem ,Rechten Sektor' verbirgt", sagt der Historiker Wilfried Jilge. Es gebe keinen einheitlichen Rechtsextremismus in der Bewegung, vielmehr sei sie geprägt von paramilitärischer Überzeugung und Waffenkult. Politisch ist sie unbedeutend: Nach Umfragen kann der "Rechte Sektor" mit 1,8 Prozent der Stimmen rechnen.

Komplizierter verhält es sich mit der Rechtspartei "Swoboda" ("Freiheit") des Nationalisten Oleg Tjagnibok. Sie stellt in der Übergangsregierung vier Minister. Nach Ansicht der Konrad-Adenauer-Stiftung setzt Tjagnibok auf antisemitische Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit. Seit dem Einzug ins Parlament bemüht sich die Parteiführung aber um einen moderateren Kurs. ",Swoboda' ist gemäßigter als westeuropäische Rechtsradikale wie die NPD", sagt Volodymyr Oliinuk von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kiew. Zudem ist die Zustimmung im Volk deutlich gesunken.

Josef Sissels vom Verein Jüdischer Gemeinden und Organisationen in der Ukraine gibt Entwarnung: "Eine besondere Gefahr geht von ,Swoboda' nicht aus." Historiker Jilge fordert dennoch dazu auf, die Partei genau zu beobachten: "Das extremistische Potenzial ist nicht zu unterschätzen." Trotzdem sei die Hysterie unbegründet, die derzeit vor allem in russischen Medien geschürt werde: "Das Problem der Ukraine mit dem Nationalismus ist so klein, dass es die Gesellschaft problemlos in den Griff bekommen kann."

(RP)
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