Analyse zur Krim-Krise Der Taktiker Putin überfordert den Westen

Düsseldorf/Brüssel · In der Krim-Krise scheitert postmodernes westliches Politikverständnis an einem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der auch Verluste einkalkuliert, um seine Ziele durchzusetzen. Zu Opfern ist in der EU aber niemand ernsthaft bereit.

Krim / Ukraine: Putin überfordert den Westen
Foto: afp, ski

Eigentlich machen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier doch alles richtig. In der Krim-Krise versuchen sie zu deeskalieren, zu vermitteln, diplomatische Gesprächskanäle zu öffnen. Immer wieder telefonierte Merkel direkt mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Nur: Gebracht hat das alles nichts. Putin lebe in einer anderen Welt, stellte die Kanzlerin konsterniert fest. Dahinter steckt die alarmierende Erkenntnis, dass der Westen jeden Einfluss auf den Kreml verloren hat.

Putins hierzulande gerne nachsichtig belächelte antiwestliche Rhetorik — sie ist Realpolitik geworden. Vor dem heute beginnenden EU-Gipfel ist die Ratlosigkeit mit Händen zu greifen. Putins kaltschnäuzige Landnahme auf der Krim überfordert das europäische Krisenmanagement. Mehr noch: Sie hebelt das westliche Verständnis von rationaler Politik aus den Angeln. Postmoderne Staatenlenker wie Merkel haben sich in der heimeligen Gewissheit eingerichtet, dass es gerade in einer globalisierten Welt immer nur in Win-win-Situationen gehen kann — eine Politik also, bei der alle Seiten profitieren und keiner als gedemütigter Verlierer vom Tisch aufsteht.

Arithmetik

Putin aber hält sich eine andere Arithmetik. Für ihn ist Politik ein Nullsummenspiel: Was der eine gewinnt, muss ein anderer notwendigerweise verlieren. Auch die Instrumente sind nicht die gleichen. Während westliche Politiker, allen voran US-Präsident Barack Obama, die Option einer militärischen Eskalation nicht einmal in Erwägung ziehen möchten, hat Putin ohne Zögern Truppen in Marsch gesetzt.

Es ist ein asymmetrischer Konflikt, den beide Seiten mit höchst unterschiedlichen Mitteln bestreiten. Bisher konnte man sich wenigstens damit trösten, dass nicht geschossen wird, solange man noch miteinander redet. Aber das ist ein schöner Selbstbetrug. Putin hat sein Ziel auf der Krim erreicht, ohne dass ein einziger Schuss abgegeben wurde — weil er offensichtlich als Einziger zur Eskalation bereit war.

Vieles spricht dafür, dass Putin nur die Sprache des Stärkeren versteht. Aber wer sollte ihm entgegentreten, schon gar militärisch? Bisher musste man sich mit solchen Szenarien nicht ernsthaft beschäftigen. Bisher durfte man sich im Westen in der Gewissheit wiegen, dass Moskau eine bestimmte Grenze nicht überschreiten würde. Dann nämlich, wenn schmerzhafte Konsequenzen für Russland und namentlich die fragile russische Wirtschaft drohten. Nach dieser Logik, auf die ganz offenbar auch Merkel und Steinmeier bis zuletzt gesetzt haben, hätte Putin spätestens am Dienstag bei seiner Ansprache vor der russischen Duma die formelle Aufnahme der Krim auf die lange Bank schieben müssen. Er hat es nicht getan.

Warum auch? Die bisherigen Reaktionen der Europäer haben in Moskau nur Spott ausgelöst. Zwar ist es der richtige Ansatz, durch gezielte Sanktionen gegen Mitglieder der russischen Führungselite klar zu machen, dass die russische Expansionspolitik ihren Preis hat. Aber zum einen betreffen die Kontensperrungen und Reiseverbote bisher im Wesentlichen nur untergeordnete Chargen, und zum anderen lassen sie jenen Teil des Führungszirkels um Putin kalt, der die Krim-Annexion maßgeblich vorangetrieben hat. Männer wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu oder Igor Setschin, Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft, haben keine schicken Wohnungen in London oder Weingüter im Bordelais, denen sie nachtrauern müssten. Und harte Wirtschaftssanktionen? Vor denen schrecken die Europäer zurück.

Aussetzung des G-8-Gipfels

So dürfte es beim EU-Gipfel in Brüssel heute auch keine Einigung auf die eigentlich angedrohte nächste Stufe der Strafmaßnahmen gegen Moskau geben. Voraussetzung für Wirtschaftssanktionen sei eine massive Destabilisierung der Ukraine, hieß es gestern in Berliner Regierungskreisen, über die Krim hinaus. Das bedeutet: Die rote Linie verläuft in der Ostukraine. Solange Putin seine Expansion nicht dorthin vorantreibt, will man in Berlin die Sanktionen allenfalls zaghaft ausweiten. So wird beim Gipfel wohl die Liste der Personen, die mit Einreiseverboten und Kontosperren belegt werden, verlängert. Auch ein Waffenembargo gegen Russland ist neben weiteren symbolischen Handlungen — wie der Aussetzung des G 8-Gipfels in Sotschi — möglich.

Die Zögerlichkeit erklärt sich auch aus Zerstrittenheit. Verfechter einer härteren Linie gegenüber Putin treffen auf Bremser. Der britische Premier David Cameron etwa plädiert dafür, Russland aus dem Kreis der führenden Wirtschaftsnationen (G 8) zu werfen, und kündigte an, er werde die EU-Partner zu weiteren Maßnahmen drängen. Das wird im Sinne von EU-Staaten mit starken russischen Minderheiten sein, die sich von Putin bedroht fühlen und Schutzgarantien fordern. Dagegen wird sich die Begeisterung über eine schärfere Gangart gegenüber Russland bei Ländern wie Bulgarien oder Zypern in Grenzen halten. Gerade Zypern wurde in der Schulden-Krise von Moskau massiv finanziell unterstützt.

Einigkeit besteht eigentlich nur darin, dass Kiews Annäherung an die EU nun vorangetrieben werden muss. Neben einem milliardenschweren Hilfspaket soll zum Abschluss des Brüsseler Gipfels der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk den politischen Teil eines Partnerschaftsabkommens mit der EU unterzeichnen. Die Unterschrift unter jenes Abkommen verweigerte der abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch auf Druck Moskaus vor ein paar Monaten noch und löste damit die pro-europäischen Proteste auf dem Maidan aus. Der umstrittene wirtschaftliche Teil des Vertrags, der Russland direkt betrifft, wird freilich abgetrennt — ohne Termin für eine Unterschrift. Auch in diesem Punkt hat Putin schon gewonnen.

(RP)
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