Kuala Langsa Gesichter einer Flüchtlingskatastrophe

Kuala Langsa · Auch in Asien fliehen Menschen unter Lebensgefahr übers Meer, zum Beispiel Muslime aus Myanmar. Hilfe kommt nur zögerlich.

Shaiful Islam ist sechs Jahre alt und hat Dinge gesehen, die die meisten Erwachsenen niemals erleben wollen. Er gehört zu der muslimischen Minderheit der Rohingya. Mit vielen anderen ist der Junge aus Myanmar, dem früheren Birma, über das Meer geflüchtet und in Indonesien gestrandet. Der Fotograf Ulet Ifansasti hat die Registrierung der Flüchtlinge dokumentiert.

Mehr als 1300 Menschen erreichten in der vergangenen Woche die indonesische Küste. Der Großteil zählt zu den Rohingya, einige wenige Menschen stammen aus Bangladesch. Im buddhistisch dominierten Myanmar, dass sich nur zögerlich von der früheren Militärdiktatur zu einer Demokratie entwickelt, werden die muslimischen Rohingya seit Jahrzehnten unterdrückt und verfolgt. Die rund 1,3 Millionen Rohingya werden nicht als ethnische Minderheit anerkannt und gelten als illegale Einwanderer aus Bengalen. Viele leben schon seit Generationen in Myanmar. Radikale Buddhisten üben dort immer wieder Gewalt gegen die Mitglieder der Volksgruppe aus.

Rohingya berichten, dass Regierungsbeamte einige der Flüchtlingstransporte organisierten. "Wir akzeptieren die Behauptung nicht, dass Myanmar die Ursache des Problems ist", sagt Zaw Htay, Leiter des Präsidentenbüros. Seit Wochen treiben Tausende entkräftete Menschen in überfüllten Booten vor den Küsten Malaysias und Indonesiens. Jetzt wollen die Länder diese Flüchtlinge vorübergehend aufnehmen - eine ausdrückliche humanitäre Geste als Reaktion auf den internationalen Druck. Das ist das Ergebnis eines Treffens der Außenminister von Indonesien, Malaysia und Thailand. Myanmar weigerte sich, an dem Treffen mit seinen Nachbarländern teilzunehmen.

Gestern noch gab das indonesische Militär einen umstrittenen Befehl: "Wir haben Fischer angewiesen, keine Leute an Bord zu nehmen, es sei denn, sie ertrinken", sagte ein Sprecher. Auch jetzt wollte die Küstenwache nicht aktiv nach den Verzweifelten suchen, sagte Malaysias Außenminister Anifah Aman. Die Hilfe gilt also nur für die, die es aus eigener Kraft an die Küsten schaffen. Die Zielländer der Flüchtlinge gehen unterschiedlich mit den Ankömmlingen um: In Malaysia wurden die Flüchtlinge lange als illegale Arbeiter geduldet. In Thailand wurden Ende April Dutzende verscharrte Leichen von Rohingya entdeckt. Daraufhin nahm die Regierung Schlepper fest und verhaftete mitwissende Beamte. Malaysia, Indonesien und Thailand haben bislang mehrere Tausend Flüchtlinge aufgenommen, gleichzeitig aber Boote abgewiesen oder zurück aufs offene Meer geschleppt. In Interviews berichteten Flüchtlinge, dass die Menschen auf den oft seeuntauglichen Booten hungern und verdursten. Schätzungsweise treiben noch 7000 Menschen hilflos im Golf von Bengalen und der Andamanensee. Das UN-Flüchtlingshilfswerk und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) begrüßten den Aufnahmeentschluss.

Der stellvertretende Asien-Direktor von HRW, Phil Robertson, kritisierte die starre Haltung Thailands, das weiterhin keine Flüchtlinge aufnehmen will: "Hoffentlich ist dies nur ein vorübergehender Fehler der thailändischen Führung." Bei der Flucht über das Meer sind nach Schätzungen der Hilfsorganisationen seit Anfang 2014 bereits fast 1000 Menschen gestorben. Die Flüchtlinge seien Menschenhändlern ausgeliefert, Frauen würden vergewaltigt, Kinder von ihren Familien getrennt und missbraucht, Männer über Bord geworfen.

Die meisten toten Flüchtlinge werden nicht identifiziert. Niemand weiß, woher sie kamen, wer sie waren. Nicht nur in Asien, auch in Europa wird die Flüchtlingskrise diskutiert. Der italienische Premierminister Matteo Renzi will einen Ende April vor der libyschen Küste gesunkenen Kutter mit den rund 600 Leichen bergen. Renzi hoffe, dass die EU für die Kosten aufkomme, "ansonsten übernehmen wir das", sagte der Regierungschef.

Der sechjährige Shaiful Islam hat zum Glück die gefährliche Reise überlebt und zumindest vorübergehend eine Identität in Indonesien - doch es ist eine Heimat auf Zeit.

(RP)
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