Havanna Kubas Kirche kehrt zurück

Havanna · Kubas Katholiken hatten es sehr schwer in den vergangenen Jahrzehnten. Doch nun öffnet das kommunistische Regime mehr Raum für die Kirche. Die hat viel Nachholbedarf.

Fünf Jahrzehnte lang musste die katholische Kirche auf Kuba Unterdrückung und Demütigung erdulden. Doch spätestens der Besuch von Papst Franziskus auf der Insel hat gezeigt: Kubas Kommunisten und die Kirche gehen aufeinander zu. Schlüsselfigur dabei ist Erzbischof Jaime Ortega. Ihm gelang es vor einigen Jahren in Verhandlungen mit dem Castro-Regime, zahlreiche Dissidenten aus der Haft freizubekommen. Zwar schoben die Machthaber die Regimekritiker ins Ausland ab, von wo aus sie kaum noch Einfluss nehmen können. Aber seit diesen Gesprächen ist eine Vertrauensbasis zwischen Kirche und Staat entstanden, die übrigens nicht allen in Kubas offiziell illegaler Opposition so ganz geheuer ist.

Doch dieses Vertrauensverhältnis sorgt für Bewegung an der Basis. Ordensschwester Yvetty Guzman arbeitet in einem Außenbezirk von Havanna. Sie zieht bei ihrem Spaziergang durch die Straßen von Guanabacoa in ihrer traditionellen Tracht die Blicke auf sich, denn auch die optische Rückkehr der Kirche ins kubanische Alltagsleben ist für viele noch gewöhnungsbedürftig. Die Frau aus der Dominikanischen Republik spürt eine Klimaveränderung in ihrer täglichen Arbeit: "Die Arbeit ist für uns leichter geworden, genauso wie das Verhältnis zur Regierung", sagt Schwester Yvetty.

Bereits nach dem Besuch von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2012 wurde der Karfreitag als Feiertag eingeführt, mittlerweile sind auch Gottesdienste im Fernsehen zu sehen. Prozessionen sind wieder erlaubt. Inzwischen entstehen in Kuba sogar wieder neue kirchliche Gebäude, der Staat begann damit, ehemals konfisziertes Eigentum zurückzugegeben. Und viele Kubaner haben ihre Zurückhaltung aus der Zeit, als die Kirche wie alles Nichtkommunistische als Feind der Revolution galt, aufgegeben. Es gibt keine Berührungsängste mehr, stattdessen wird offen über Gott und die Welt gesprochen - und natürlich über Fußball. Die Schwestern der Kongregation, der Yvette Guzman angehört, der "Hermanas de la Caridad del Cardenal Sancha" - im Volksmund "Sanchinas" genannt - sind begeisterte Fans von Real Madrid, Bayern München und dem FC Barcelona. Vor allem Cristiano Ronaldo und Thomas Müller haben es ihnen angetan, aber so richtig entschieden haben sie sich noch nicht, an wen sie ihr Fanherz vergeben wollen.

Die Ordensgemeinschaft wurde 1869 in Santiago de Cuba gegründet, als Folge der Wirren des Unabhängigkeitskrieges von 1868. Waisenkinder und schutzlose alte Menschen fanden hier Schutz und Unterstützung. Die Rückkehr der "Sanchinas" ist ein Beleg dafür, dass die Kirche wieder auf dem Vormarsch ist in Kuba. Lange Jahre hatten die Kommunisten das Monopol der Armutsbekämpfung eifersüchtig für sich in Anspruch genommen. Fidel Castro, der "Maximo Lider", wurde in der staatlichen Propaganda beinahe gottähnlich verehrt. Für einen zweiten Gott, den katholischen, war da nur wenig Platz in Schule, Gesellschaft und Politik.

Armut gibt es auch heute noch auf Kuba, auch wenn der Staat darüber nicht reden will oder sie auf die Folgen des jahrzehntelangen US-Handelsembargos zurückführt. Jetzt arbeiten die Schwestern in Guanabacoa am Wiederaufbau eines alten, fast baufälligen Hauses, das von Grund auf saniert werden soll. Dabei hilft die Muskelkraft von fleißigen Arbeitern. Moderne Baumaschinen sind nicht nur selten auf Kuba, sondern auch sehr teuer. Deswegen geht es langsam, per Seilzug vorwärts. Mühsam wird so Stein um Stein transportiert. Eine langwierige Aufgabe, Geschwindigkeit ist auf Kuba ohnehin so eine Sache.

Yvetty kennt das Haus mittlerweile in- und auswendig, hat alle Maße im Kopf, kann in Gedanken den Plan des Umbaus Zentimeter für Zentimeter nachempfinden. Stolz zeigt sie auf ein neu installiertes Dach, der erste große Erfolg des Projektpartners, des deutschen kirchlichen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Seit 2005 sind die Schwestern im Land, um dem Nachwuchs der Kongregation eine Ausbildung bei der Ordenskonferenz zu ermöglichen und auch aus logistischen Gründen eine Niederlassung in Havanna zu haben.

Yvette ist mitten drin in der kubanischen Alltagsrealität, weit weg vom Ferienparadies Varadero, das sie "das andere Kuba" nennt. Und auch weit weg von der historischen Altstadt Havannas, in die sich mehr und mehr Touristen verlieben, weil sie einen warmherzigen Charme verbreitet. Dorthin, wo die Schwestern leben und arbeiten, kommt normalerweise kein Tourist. Gerade deswegen war hier die Freude besonders groß, als die Nachricht vom historischen Annäherungsprozess zwischen Kuba und den USA verkündet wurde. "Als bekannt wurde, dass es direkte Gespräche geben wird, haben die Menschen hier im Viertel gejubelt", erinnert sich Schwester Yvetty. "Viele schauen nun zuversichtlicher in die Zukunft, weil es eine neue Perspektive gibt." Was sie nicht sagt: Der Mangel an Perspektive zwang in den vergangenen Jahren hunderttausende Kubaner, über den gefährlichen Seeweg nach Florida zu fliehen. Wie viele Menschen dabei ertranken, ist bis heute unklar. Kubas Regierung redet nicht gerne über das Thema.

Doch inzwischen setzen die kleinen US-Flaggen an den kubanischen Autos ein Zeichen des zivilen Ungehorsams und einer stillen Bewunderung für das offiziell verhasste "Imperium", das die Kubaner nur aus dem Staatsfernsehen kennen. Zu einer tatsächlichen Demokratisierung fehlen in Kuba jedoch noch enorme Reformen. Dass Dissidenten daran gehindert wurden, an den öffentlichen Auftritten des Papstes teilzunehmen, zeigt, dass die alten Reflexe des Staatsapparats noch immer funktionieren. Und dies, obwohl Präsident Raul Castro seine große Bewunderung für den Papst äußerte und zuletzt sogar ankündigte, er wolle in die Kirche zurückzukehren, wenn Franziskus diese weiterhin so mutig verändere.

Der kubanische Klerus muss mit dieser delikaten Situation umgehen. Ortega und seine Bischöfe üben keine polemische Fundamentalkritik. Sie machen konkrete Verbesserungsvorschläge, und ihre Institutionen dienen als wichtige ergänzende Ausbildungsstätte für all jene Kubaner, die sich im Rahmen der von Raul Castro angekündigten "Aktualisierung" des Systems privatwirtschaftlich engagieren wollen. Ein ganz kleinen Schritt in diese Richtung planen auch die Ordensschwestern um Yvetty Guzman. Sie wollen in der 83.000 Einwohner zählenden Pfarrei in Guanabacoa das kirchliche Leben zurück in den Alltag holen. "Die Kubaner stehen uns sehr freundlich gegenüber", sagt Schwester Yvetty. Und manchmal, so berichtet die Dominikanerin, packt auch schon einmal jemand mit an, der sich bis vor kurzem nicht getraut hätte, mitzuhelfen.

(RP)
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