Landtagswahlen auf Usedom Die Insel der AfD

In Peenemünde auf Usedom hat jeder Zweite bei der Landtagswahl AfD oder NPD gewählt. Die Menschen dort fühlen sich vergessen. Warum bloß?

 AfD-Plakat auf Usedom (Archiv): Erfolg der Rechten auf der Urlaubsinsel

AfD-Plakat auf Usedom (Archiv): Erfolg der Rechten auf der Urlaubsinsel

Foto: dpa, sts pil

Monika lebt dort, wo andere Urlaub machen. Sie tritt einen Schritt zurück und zieht die Augenbrauen schräg zusammen. Sie verkauft Karten für die Schifffahrten zu den Seehunden. Man kann leider nicht immer welche sehen, sagt sie. Aber das Wetter sei gerade ideal. In dem Geschäft an der Peenemünder Promenade drängen sich Souvenirs aneinander. Porzellanseehunde sind im Angebot.

Seit 52 Jahren lebt Monika, die ihren echten Namen nicht verrät, in Peenemünde. Sie hat ihr ganzes Leben in der nördlichsten Gemeinde Usedoms verbracht. "Im Sommer ist es schön hier - viel los", sagt sie. "Im Winter nicht so." Monika, die Frau mit den dunkelgefärbten Haaren, dem ärmellosen weißen Shirt, den Schweißperlen auf der Stirn, hat bei der Landtagswahl vor anderthalb Wochen AfD gewählt. Zum ersten Mal.

"Die Politik ist schuld", sagt sie. Niemand hört ihr zu, keiner kümmert sich um sie oder Peenemünde. Nur im Sommer gibt es Arbeit, wenn die ganzen Touristen aus Berlin da sind. Und im Winter? "Tote Hose." Die Kinderstation in Wolgast, drüben auf dem Festland, haben sie geschlossen. "Was ist das für ein Zeichen?", fragt Monika. Und weshalb dann AfD? "Aus Frust."

Frust. Das ist für Falko Beitz ein gutes Stichwort. Der junge Mann mit dem sauberen Seitenscheitel und der Kastenbrille könnte wahnsinnig frustriert sein. Man würde ihn gut verstehen. Aber Beitz ist nicht frustriert, jedenfalls lässt er sich das nicht anmerken. Er sitzt im Restaurant "Santa Maria" und erzählt.

Beitz ist aus Stolpe angereist, im Süden der Insel. 70 Minuten hat er gebraucht — der Verkehr sei schrecklich. In Stolpe ist der 29 Jahre alte Historiker stellvertretender Bürgermeister. Bei der Kommunalwahl vor zwei Jahren war er dem Amtsinhaber mit nur fünf Stimmen unterlegen. Am 4. September hat Beitz dann schon wieder verloren. Er war angetreten, den Wahlkreis Nummer 30, Vorpommern-Greifswald III, im Schweriner Landtag zu vertreten. Der Abstand war größer als fünf Stimmen.

17,8 Prozent der Erststimmen hat der Sozialdemokrat Beitz bekommen, also in etwa genauso viele wie seine Kollegen von CDU und Linken. Ralph Weber hat beinah doppelt so viele Stimmen geholt. Mit 35,3 Prozent hat der Juraprofessor der Universität Greifswald den Wahlkreis direkt gewonnen. Für die AfD. In Peenemünde hat er sogar 53,3 Prozent der Erststimmen bekommen. Weber hat das Buch "Sachenrecht II" geschrieben und trägt gerne die bei Rechten so beliebten Thor-Steinar-Pullover. Weil sie so bequem sind.

Ein Jahr lang war Falko Beitz mit dem Wohnmobil auf Wahlkampftour

Falko Beitz hat eine laminierte Karte des Wahlkreises 30 dabei: ganz Usedom, Wolgast und noch ein gutes Stück darüber und darunter. Ein Jahr lang war er überall mit einem alten Wohnmobil unterwegs, hat Hartz-IV-Sprechstunden abgehalten oder Bürgerversammlungen. Hatte immer ein offenes Ohr für jeden, selbst wenn es nur um den Hundemist vor der Haustür ging. Beitz hat einen übersichtlichen Flyer gedruckt, mit Lösungsvorschlägen für die Probleme der Insel. Sogar den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme hat er nochmal erläutert, ohne die Leute für dumm zu verkaufen. "Nicht einfach", sagt er. Gewonnen aber hat Ralph Weber, den auf Usedom kaum einer je gesehen hat.

Die AfD hat in jeder Gemeinde auf Usedom die meisten Stimmen bekommen. Jeder Dritte auf der zweitgrößten deutschen Insel hat sie oder die NPD gewählt. Der "Spiegel" empfiehlt daher "antifaschistischen Urlaub im Strandkorb". Manche fragten, ob man denn auf Deutschlands sonnenreichster Insel noch ruhigen Gewissens Urlaub machen könnte? Beitz sagt: "Es ist doch Wahnsinn, dass eine Region, die so stark von Gästen lebt, so ein Zeichen sendet."

In Peenemünde müssen diese Gäste zusehen, dass sie vor 20 Uhr ans Abendessen denken. Sonst ist alles geschlossen. Auf den Straßen herrscht wenig Betrieb, nur ein paar Touristen radeln vorbei, um sich Hitlers V2-Raketen im Museum anzusehen. Und das gewaltige U-Boot im Hafen. Wenn man aber dann doch einen der 229 Wahlberechtigten der Gemeinde trifft, klingen sie fast alle wie Monika. Die Saisonarbeit ist ein Problem, die geschlossene Kinderstation in Wolgast, der starke Verkehr, die schlechte Bezahlung, die wenigen jungen Menschen und vor allem Frauen, das Gefühl des Abgehängtseins. Wir gegen die.

Auch Sebastian heißt anders. Er leitet seit einem Jahr ein kleineres Hotel in Peenemünde. Er ist hoffnungsfroh, hat Frau und Kinder, die zur Schule gehen. Der kommunale Plan "Peenemünde 2020", der Entwurf eines Traumdorfes, macht ihm Mut. "Kommen Sie in vier, fünf Jahren wieder. Dann ist es viel besser hier", sagt er. Die Leute seien frustriert in Peenemünde, weil immer nur an die Kaiserbäder gedacht würde. An Heringsdorf, Ahlbeck, Zinnowitz. Und nie an Peenemünde. Im Winter macht Sebastian das Hotel zu, dann kommt niemand mehr. Das ist die Zeit für Renovierungen. Die Badezimmer waren schon dran.

Wer nach Usedom reist, muss entweder durch Anklam oder Wolgast fahren. Er begegnet riesigen Wesselmännern der NPD, dem größten Format der Wahlplakate. Er begegnet an der Tankstelle einem Auto mit der Aufschrift: "Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz." Blühende Landschaften sehen hier nur Touristen.

Rainer Barthelmes, Bürgermeister von Peenemünde, weiß natürlich um den Widerspruch. Die vielen Urlauber kommen, genießen das Leben und den Prosecco zum Frühstück - und fragen sich, wieso die Menschen, die hier leben, unzufrieden sein können. "Die kriegen nichts mit", sagt Barthelmes, der für die Wählergemeinschaft Peenemünde im Amt ist. Es könnte alles ganz einfach sein. Das ist es aber nicht.

Einfache Antworten hat nur die AfD. "Kein Geld für eure Flüchtlinge" hat die Partei auf Usedom plakatiert und Flüchtlinge noch in Anführungszeichen gesetzt. Dabei gibt es auf Usedom keine Flüchtlinge. Keinen einzigen. Mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ist hier nichts erklärt. Auf der Sonneninsel sind sogar Stellen offen.

Ralph Weber, der zukünftige Landtagskandidat für Usedom, möchte nicht mit der RP reden. Selten äußert er sich in der Presse, noch seltener auf Usedom. Monika, die Frau von der Peenemünder Promenade, hat den Namen des Professors aus Greifswald noch nie gehört. Sie hat ihm trotzdem beide Stimmen gegeben. Ihr Glück: Ein älteres Ehepaar möchte bitte zwei Fahrkarten kaufen. Zu den Seehunden.

(her)
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