Israel, Kolumbien, Nordirland Leben mit dem Terror

Berlin/Bogotá · Die Bluttaten in Bayern lassen viele aufschrecken. Aber wie lernt man, mit dem Terror zu leben? Beispiele aus Israel und Kolumbien geben Einblick in einen völlig anderen Umgang mit ständiger Bedrohung durch Gewalt.

 Sicherheitskontrollen in Jerusalem.

Sicherheitskontrollen in Jerusalem.

Foto: Gabriel, Werner

Wozu Amoklauf und Selbstmordanschlag unmittelbar führen, wird in den nächsten Tagen auf dem Festspielhügel von Bayreuth zu erleben sein: Leibesvisitationen und Taschenkontrollen statt Schlendern über den roten Teppich.

Und auch bei der Vorbereitung des Oktoberfestes mit Millionen Gästen denken die Veranstalter nun schon daran, Rucksäcke generell zu verbieten. Es ist absehbar, dass die Hersteller und Vermieter von Körperscannern volle Auftragsbücher haben und viele Veranstaltungen nur nach Durchschreiten eines Metall-Detektors zugänglich sind. Aber das Leben mit dem Terror geht in anderen Gesellschaften noch viel tiefer.

Für den mitteleuropäischen Badegast sind die Bilder vom Strandleben außerordentlich gewöhnungsbedürftig. Da schlendern zwei junge Frauen barfuß und im Bikini entspannt an den Wellen vorbei. Doch statt einer Badetasche hängt bei jeder eine Uzi über die Schulter, eine schussbereite Maschinenpistole. Als die Attentate mit Gummibooten vom Meer her zunahmen, war das die Antwort: Militärangehörige hatten auch in ihrer Freizeit jederzeit ihre Waffe dabei.

Das zieht sich durch den gesamten israelischen Alltag. Weswegen so viele Schilderungen von terroristischen Attacken bereits nach wenigen Minuten mit dem Tod des Täters enden. Bei Terrorwarnlagen wie in diesem Jahr in der Karwoche in Jerusalem wird das Straßenbild von schwer bewaffneten Polizisten in Schutzwesten geprägt. Zeitweise war ihre Zahl höher als die der Pilger.

Spontane Durchsuchungen Verdächtiger zu jeder Zeit und an jedem Ort eingeschlossen. Und wer zum Ben-Gurion-Flughafen bei Tel Aviv will, muss bereits im Abstand von drei Kilometern die erste Kontrolle durchfahren. Zudem legen Israels Sicherheitsbehörden viel Wert auf Täter-Profiling. Wer Merkmale typischer Attentäter aufweist, sollte sicherheitshalber stundenlange Untersuchungen, Nachfragen und Gepäckkontrollen einkalkulieren.

Abgeriegelte Straßen, gepanzerte Fahrzeuge, Polizisten und Soldaten an fast jeder Kreuzung, peinlich genaue Personenkontrollen — das war die Situation in den 70er Jahren in Belfast, als katholische Terroristen und protestantische Terroristen mit der britischen Armee mittendrin einen erbitterten Bürgerkrieg führten.

Der Münchner Amokläufer Ali David S. wäre in der kolumbianischen Hauptstadt nicht weit gekommen. Mit einer geladenen Waffe in ein Einkaufszentrum zu marschieren, das wäre in Bogotá undenkbar. Jeder Kunde wird hier am Haupteingang kontrolliert. Sichtbar und unsichtbar: Frauen müssen grundsätzlich ihre Handtaschen öffnen, Männer werden —sofern sie Kleidung tragen, die möglichen Waffenbesitz überdecken könnte —abgetastet.

Und natürlich wacht in der Sicherheitszentrale noch ein Kommandostab, der genau hinsieht, wer da durch die Eingangstore stürmt. Auch der Umweg durch das Parkhaus bleibt versperrt: Wer hinunter in die Tiefgarage will, den erwartet zunächst ein kritischer Blick des Parkhauswächters und dann der Unterbodenspiegel. All das stammt noch aus der Zeit, als Kolumbiens Drogenkartelle aus Medellín und Cali, aber auch die Farc-Guerilla mit Vorliebe Attentate auf die Zivilbevölkerung verübte. Der Feind hieß nicht Islamischer Staat, sondern Drogenboss Pablo Escobar.

Diese Furcht hat in Kolumbien vor allem zwei Wirtschaftsbranchen hervorgebracht: Kein anderes Land hat einen derart ausgeprägten 24-Stunden-Lieferservice. Nichts, was nicht persönlich bis an die Haustüre gebracht wird: Medikamente, Essen, Haushaltswaren, und zwar rund um die Uhr. Die Lieferungen werden allerdings erst einmal überprüft: Jedes Mehrfamilienhaus, jede Siedlung hat eigene Sicherheitskräfte. Und die Angst hat auch eine ganz spezielle Mode erschaffen: Der Designer Miguel Cabarello hat sich auf modische schusssichere Kleidung spezialisiert, sogar für Schüler.

Die Jahre des Terrors haben die Kolumbianer verändert. Sie suchen sichere Plätze auf. Deswegen ist das Einkaufszentrum mehr als nur ein Platz zum Bummeln. Es ist ein gesellschaftlicher Treffpunkt geworden, wo sich sonntags die Familien schon zum Gottesdienst treffen. Übergriffe wie in Köln sind hier nicht möglich, die Kameras schauen genau hin. Übeltäter werden sofort identifiziert und vom Sicherheitspersonal abgeführt.

(may-)
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