Analyse Leben mit der Angst

Essay Die Terrornacht von Paris wird langfristige psychologische Auswirkungen haben. Terror schürt Angst, und die vergiftet den Alltag der Menschen. Dagegen helfen nur Gemeinschaft und trotziger Stolz. Wir dürfen an unseren Gewohnheiten nichts ändern.

Terror bedeutet Gewalt, Zerstörung und Tod. Und Terror greift weit über den Augenblick hinaus, in dem ein Anschlag passiert, eine Bombe gezündet wird oder Schüsse fallen. Terror wirkt in unseren Köpfen, Herzen und Seelen als Gift, das den Alltag bitter macht und Freude verdirbt. Er bringt Beklommenheit und kann Menschen für lange Zeit lähmen. Man sieht es nicht, aber man spürt es: Terror macht Angst.

Menschen sind Verdrängungskünstler. An die Tatsache, dass wir irgendwann sterben müssen, werden wir ungern erinnert. Aus Selbstschutz haben wir deshalb eine Abwehrschranke gegen die Endlichkeit errichtet - das ist Überlebensmanagement und existenzielle Hygiene. "Terror überwindet diese Schranke", sagt nun Matthias Franz, Professor für Psychosomatische Medizin an der Uniklinik Düsseldorf und Vorsitzender der Akademie für Psychoanalyse und Psychosomatik. "Er bringt uns an den Rand unserer Verdrängungsmöglichkeiten und wirft uns zurück in uralte Muster. Er lässt in jedem Menschen die als schlimmsten Ängste abgespeicherten Empfindungen aufleben." Bei fast jedem ist das Trennungs- und Verlustangst, die letztlich Todesangst ist.

Die Angst hat im Gehirn einen genau definierten Sitz. Es ist die Amygdala, die auch Mandelkern genannt wird. "Dort speichern wir schon im Mutterleib schlimme Erlebnisse", sagt Franz. "Die Angst-Alarmanlage wird im Kindesalter scharfgestellt." Bis zum Alter von etwa sechs Jahren füllt sich das Reservoir mit allem, was uns später den Schweiß auf die Stirn treibt, erröten und weinen lässt. Bei Jugendlichen und Erwachsenen wirke der Mandelkern dann als unterbewusstes Frühwarnsystem. "Es gleicht das, was wir sehen, hören oder spüren, mit den im Gehirn konservierten Erlebnissen ab", sagt Franz. Das können verunsichernde Eindrücke wie der Blick des schlecht gelaunten Chefs sein, der möglicherweise an den Gesichtsausdruck des Vaters gemahnt, bevor der einst zuschlug.

"Je unerwarteter das Ereignis, desto stärker die Ängste", sagt Franz. Wenn man sich für ein Konzert versammelt oder ein Fußballspiel ansieht, wenn man sich also auf etwas Schönes freut, wirkt ein Terrorakt noch brachialer. Er löst Ängste aus, die man mit denen eines Kindes vergleichen kann, das die Eltern verliert. Er erschüttert das Urvertrauen. "In Bezug auf die stammesgeschichtlich im Laufe der Evolution erworbenen Basisaffekte Angst, Ekel, Freude, Wut und Trauer sind wir sehr archaisch", sagt Franz.

Dabei ist es so, dass der Mensch die Angst zum Überleben braucht. Er spürt mittels Angst Gefahren auf. Hätte er keine Angst, wäre er ungeschützt, unsicher und unvorsichtig. Zum Erwachsensein gehört jedoch, dass man Ängste aushält, Nutzen gegen Belastung austariert. Es hilft, sich mit anderen zusammenzutun. Wenn der Kollege morgens im Büro fragt, wie es einem am Wochenende ergangen sei, und er auch noch sagt, dass schlimm sei, was in Paris passiert, ist das Teil unserer Strategie gegen die Angst. Und im Grunde ist es das beste Mittel gegen Terror.

Man kann so keine weiteren Anschläge verhindern. Aber man schützt sich gegen das Chaos, das Terror mit sich bringt, gegen psychologische Verheerungen. "Angst hat den Effekt, dass sie radikal vereinzelt", sagt der Magdeburger Soziologie-Professor Rainer Paris. "Sie wirft den Menschen zurück auf sich selbst." Wer alsbald zur Sprache finde und seine Angst benenne, verwandele Angst in Furcht. Die Unterscheidung geht auf den Philosophen Sören Kierkegaard zurück: Der definierte Angst als paralysierenden Zustand, in dem überall abstrakte Gefahr lauere. Furcht hingegen beziehe sich auf Konkretes. Furcht lasse zu, dass man rational agiere und seine Abwehr-Energien bündele.

Wichtig sei, dass wir jetzt mit unserem diffusen Hintergrundgefühl der Angst so umgingen, dass es kalkulierbar bleibe, so Paris. Mit anderen Worten: "Die Antwort auf Terror muss vor allem Gemeinschaft sein." Man müsse zusammenhalten, Einigkeit herstellen und Werte nicht nur beschwören, sondern leben. "Wir müssen der Bedrohung mit trotzigem Stolz entgegentreten."

Beide Wissenschaftler glauben, dass Politikern in solchen Situationen eine besondere Bedeutung zukommt. "Ihr Verhalten wirkt wie das von Eltern", sagt Matthias Franz. Indem sie reagierten, etwas täten und weitermachten, erfüllten sie eine Beruhigungsfunktion. Insofern sei es gut, dass das nächste Länderspiel stattfinde, dass viele Politiker sich dort sehen lassen. "Sie wirken ordnend. Sie schrauben die Bedrohung auf ein reelles Maß zurück, indem sie Ängste ernst nehmen, aber zugleich sagen, dass man nicht an jeder Bushaltestelle in Gefahr ist. Sie helfen, Angst in Furcht zu verwandeln", sagt Rainer Paris.

Er wertet Terror auch als Angriff auf unsere Gewohnheiten. Wenn wir unser Leben änderten, bedeute das den Sieg der Terroristen. Deshalb dürfe man keinesfalls aufhören, ins Konzert zu gehen, U-Bahn zu fahren oder Freunde zu treffen. Das sei unsere Bewährungsprobe: Es hinzubekommen, dass wir weiterleben wie zuvor. "Die Terroristen haben erst gewonnen, wenn wir aufhören, in Ruhe unseren Kaffee zu trinken."

(hols)
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