London "London lässt EU-Bürger im Unklaren"

London · Den Brexit bekommen nun auch Einwanderer in Großbritannien zu spüren - zum Beispiel bei dem Versuch, ein Haus zu kaufen.

Es ist schwierig, sich in einem Land heimisch zu fühlen, in dem man kein Haus kaufen darf. Das ist die Erfahrung von Marc Oetters, einem 30-jährigen Hannoveraner, der seit zehn Jahren in England lebt. Oetters und seine Frau haben versucht, in Hampshire, südlich von London, ihr erstes Haus zu kaufen. Im Dezember, nach zwei Jahren Suche, dachte er, er habe endlich etwas Vernünftiges gefunden. Schon einige Male hatten die beiden ein Haus verpasst, weil sie sich vor Ort nicht sofort entscheiden konnten - Immobilienverkauf in Großbritannien ist ein rasantes Geschäft. Nun allerdings war die Entscheidung gefallen. Bis die Bank anrief.

"Sie haben mir gesagt, dass wegen unseres Migrationshintergrunds mein Antrag auf eine Hypothek auf Eis gelegt werde", erzählt Oetters: "Ein Riesenschock. Wir hatten allenfalls erwartet, wegen unserer Finanzen auf Hindernisse zu stoßen, aber nicht wegen unserer Nationalität - schließlich war das schon unser dritter oder vierter Antrag innerhalb von zwei Jahren." Oetters' Fazit: "Das hat bei mir einen schalen Nachgeschmack hinterlassen."

Damit ist er nicht allein. Mehr als drei Millionen Bürger anderer EU-Staaten leben in Großbritannien, darunter rund 300.000 Deutsche. Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 erleben sie täglich neue Schwierigkeiten und Herausforderungen.

"Seit dem Brexit-Referendum haben wir eine starke Veränderung feststellen können", sagt Nicola Ninnemann (32), die ursprünglich aus Köln kommt. Heute lebt sie mit ihrem englischen Partner Allen und ihrem einjährigen Sohn John in Newcastle in Nordengland. "Ich wurde in der Öffentlichkeit schon öfters aggressiv angegangen, wenn ich Deutsch mit meinem Sohn redete", erzählt sie. Die frostige Atmosphäre ist nur die offensichtlichste Veränderung. Echte Sorgen macht den EU-Bürgern, dass ihre Zukunft in Großbritannien so unklar ist.

Premierministerin Theresa May hat die EU-Ausländer lange im Ungewissen gelassen. 2016 sagte sie, sie wolle keinen "laufenden Kommentar" zum Brexit abgeben. Viele in Mays Konservativer Partei vertreten den Standpunkt, dass es die Position der Briten in den Austrittsverhandlungen schwächen würde, wenn sie ihre Karten zu früh zeigen.

Mitte Januar machte May eine ihrer eindeutigsten Äußerungen über die Rechte der Europäer, gab aber immer noch keine Garantie. Die Regierung hofft auf einen Brexit-Vertrag, der europäischen Angestellten bei britischen Firmen ihre Jobs erhält. Wie das gehen soll, wird noch verhandelt.

"EU-Staatsbürger leben sozusagen in der Schwebe, und Theresa May hat sehr wenig getan, um sie zu beruhigen", kritisiert Nicolas Hatton, Gründer der Initiative "The 3 Million", im "Guardian". Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, den EU-Bürgern nach dem Brexit ihr Aufenthaltsrecht zu erhalten.

"In der momentanen Situation erscheint alles möglich, und wir werden völlig im Dunkeln gelassen", schimpft Nicola Ninnemann: "Wir sind nervös und können keine wirklichen Pläne machen."

Um ihr Aufenthaltsrecht auf der Insel zu sichern, bemühen sich viele Ausländer nun um die britische Staatsangehörigkeit. Die Zahl der Antragsteller hat sich seit dem Referendum von etwa 38.000 auf rund 100.000 fast verdreifacht. Die Antragsplattform ist überlastet, und die Wartezeiten sind massiv gewachsen. Viele geraten mit der Bürokratie in Konflikt. "Die Anforderungen sind lächerlich", sagt Marc Oetters, der trotz seiner zehn Jahre in England nicht die britische Staatsbürgerschaft beantragen darf: "Man muss fünf Jahre ununterbrochener Arbeit in England nachweisen. Ich war aber nach meinem Studium sehr krank und musste zur Behandlung nach Deutschland."

"Man hat das Gefühl, die wollen es einem unmöglich machen", sagt auch die Hamburgerin Alexandra Salinasova (50), Dolmetscherin in London: "Ich habe jetzt endlich das Formular, aber es ist unmöglich, wonach die alles fragen. 80 Seiten ausfüllen und dann abgewiesen werden? Am Ende ändern sie die Bedingungen vielleicht noch mal."

Mancher EU-Bürger hat wegen der Erfahrungen der vergangenen Monate inzwischen ein grundsätzliches Problem mit Großbritannien. "Die Atmosphäre hat sich geändert", sagt Vera Götz (37), Fachärztin, die seit 20 Jahren in England lebt. "Selbst wenn der Brexit nicht kommt, wäre ich mehr als je zuvor geneigt, das Land zu verlassen." Auch Marc Oetters fühlt sich unbehaglich. "Zu diesem Zeitpunkt kann ich mir nicht vorstellen", sagt er, "meine Kinder hier aufzuziehen oder mir hier eine langfristige Zukunft aufzubauen."

(RP)
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