Peking Macht und Ohnmacht der Chinesinnen

Peking · In der Wirtschaft sind Chinas Frauen Weltspitze, das Land aber regiert ein Männerverein - unter Xi Jinping hat sich die Kluft noch vergrößert.

Chinas Frauen können die Hälfte des Himmels tragen. Dieser berühmt gewordene Appell zur Gleichberechtigung wird dem Revolutionär und Gründer der Kommunistischen Partei (KP) Mao Tsetung (1893-1976) zugeschrieben. Dieser hat das aber in Wahrheit nie gesagt. Verbürgt ist dafür ein anderer Slogan aus dem Sommer 1964. Als Hobbyschwimmer Mao den Pekinger Stausee durchquerte, holte ihn eine Gruppe kraulender Sportlerinnen ein. Die parteiamtliche Volkszeitung druckte ein Jahr später, am 27. Mai 1965, was Mao den Schwimmerinnen damals scherzhaft zurief: "Die Zeiten haben sich geändert. Männer und Frauen sind gleich. Was den Genossen Männern gelingt, schaffen auch die Frauen." Mao wurde zur Galionsfigur der globalen Emanzipationsbewegung.

Zu Unrecht. Denn dem "Großen Vorsitzenden" ging es nicht um politische Mitbestimmung der Frauen, oder gar Teilhabe an seiner Macht. Er wollte sie aus feudaler Unterdrückung befreien, in einer Zeit, als ihre Füße noch verkrüppelt wurden. Mao sprach sich für gleiche Arbeit, gleichen Lohn und gleiche Erziehung aus, um Frauen als Arbeitskräfte und für seine Revolution zu gewinnen. Wenn es um die politische Gleichberechtigung geht, schwimmen Chinas Frauen auch heute den Männern weit hinterher, sagt Sozialanwältin Guo Jianmei. Sie ist eine der Wenigen, die nach Pekings Kahlschlag unter den Menschenrechtsanwälten noch praktizieren dürfen. Guo gründete auch Chinas erstes Frauenschutzzentrum Zhongze. Anfang 2016 wurde es stillgelegt, darf heute aber kontrolliert und stark eingeschränkt arbeiten.

Unter der autokratischen Herrschaft von Staats- und Parteichef Xi Jinping, der gerade für eine weitere fünfjährige Amtszeit bestätigt wurde, hat sich Chinas Kluft zwischen den Geschlechtern vergrößert. Im November veröffentlichte das Davoser Weltwirtschaftsforum seinen neuen, seit 2006 jährlich erhobenen Gleichberechtigungsindex. Fast überall vergrößert sich die Kluft. China fiel 2017 unter 144 untersuchten Ländern zum dritten Mal in Folge um einen Platz auf nun Rang 100. Die USA rutschen unter Donald Trump um vier Plätze auf Rang 49 ab. Nur Deutschland verbesserte sich auf Platz zwölf.

Schuld an der Herabstufung Chinas ist sein krasser Geburtenüberschuss von Jungen im Vergleich zu Mädchen, dem mit Abtreibungen sogar nachgeholfen wird. Er spiegelt die traditionelle Geringschätzung weiblichen Nachwuchses wider. Die seit drei Jahrzehnten erzwungene Ein-Kind-Politik verstärkte diesen Trend noch einmal.

Bei der Bewertung der Rolle der Frauen in der politischen Machtausübung kam China 2017 auf Platz 77 - drei Ränge schlechter als 2016. Dabei wird der Volksrepublik sogar noch angerechnet, dass das zu ihr gehörende Hongkong von einer Chinesin, der Verwaltungschefin Carrie Lam, regiert wird.

Es liege nicht an den chinesischen Frauen, dass sie in China so schwer in der Politik aufsteigen können, sondern am "System", sagt Anwältin Guo. In dem im Oktober in Peking neu bestimmten Politbüroausschuss sitzen sieben Männer als Chinas innere Führung. Im zweitmächtigsten Gremium, dem 25-köpfigen Politbüro, zog als einzige Frau die Funktionärin Sun Chunlan ein. Sie ist seit 2012 Mitglied im Politbüro.

Sun brachte als einstige Parteisekretärin der Provinz Fujian und später des Stadtstaates Tianjin sowie als Leiterin des Frauenverbands und der Gewerkschaften eigentlich das Zeug mit, um 2017 in die innere Führung aufzurücken. Zumindest erwarteten das viele. Doch nur zwei Tage nach ihrer Wiederwahl ins Politbüro musste die 67-Jährige ihr zuletzt ausgeübtes Amt als Chefin der Zentralkomitee-Abteilung für Einheitsfrontpolitik an einen Funktionär aus dem Parteisekretariat abtreten. Sun ist nun Politbüromitglied ohne Amt. Sie wird vermutlich vom Volkskongress im März als eine der vier Vizepremierminister des Landes ernannt werden und dann zuständig für repräsentative Aufgaben sein.

Gerade einmal zehn Frauen sind Mitglieder im neuen 204-köpfigen Zentralkomitee der Partei. Im März, wenn die Regierungsmannschaft vom Volkskongress gebilligt wird, werden auch nur wenige Frauen ein Ministeramt erhalten.

Der "Pyramidenweg" zur politischen Macht, so Anwältin Guo, steht in krassem Widerspruch zur wirtschaftlichen Präsenz chinesischer Elitefrauen. "Da sind sie sogar Weltspitze", sagt Rupert Hoogewerf, Herausgeber der in Shanghai jährlich erscheinenden "Hurun-Milliardärslisten". In seiner neuen Liste "Chinas reichste Frauen 2017" hat er 78 Selfmade-Unternehmerinnen erfasst, die weltweit über ein Vermögen von mindestens einer Milliarde US-Dollar verfügten, darunter seien 49 Frauen aus der Volksrepublik. Sie machten weltwfeit 63 Prozent aus.

Nach Hoogewerf beschäftigen die 50 reichsten Unternehmerinnen Chinas rund 1,5 Millionen Angestellte. Politische Mitsprache haben sie nicht. Doch wirtschaftlich gesehen gebe es für Frauen und ihre Aufstiegsmöglichkeiten keinen gleichberechtigteren Platz als China, sagt Hoogewerf. Boomende Privatinitiativen haben seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation die Voraussetzungen dafür geschaffen. Frauen nutzten die Chance, um ihre eigenen Business-Plattformen zu entwickeln. Das Ende ihrer traditionellen Familienrolle durch die Ein-Kind-Politik habe ihnen mehr Zeit verschafft, ihre eigene Karriere zu planen, während ihre Babys von den Großeltern aufgezogen wurden.

"Überall dort, wo Wirtschaftsprozesse nicht mehr von oben geplant, sondern von der Marktnachfrage bestimmt werden, finden die Frauen ein gleiches Spielfeld vor", sagt Anwältin Guo. Auch im Allchinesischen Frauenverband wird der Trend erkannt. Vizepräsidentin Song Xiuyan sprach in ihrem Verbandsmagazin von der neuen "She Power" (Frauenkraft), die besonders in IT-Unternehmen und bei Innovationsprojekten zum Tragen komme. Auf der Führungsebene würden dort zu 55 Prozent Frauen den Ton angeben.

Der Widerspruch zwischen politischer Unmündigkeit und der wirtschaftlichen Selbstbestimmung der Frauen darf in China nicht öffentlich debattiert werden. Emanzipationsbewegungen und Protestaktionen wurden vom Staat unterdrückt. Das Thema kocht aber in privaten Foren immer wieder hoch.

Chinas leninistisch organisierte Kommunistische Partei akzeptiert keine Seiteneinsteiger. Frauenquoten gelten nur für Basisorganisationen, obwohl Gleichberechtigung auf "allen Ebenen des Lebens" im Artikel 48 des Grundgesetzes als Verfassungsgebot steht. In China gebe es viele gute Gesetze für Frauen, sagt Anwältin Guo. Aber es fehle an Ausführungsbestimmungen und der Umsetzung. So bleiben sie "schlafende Schönheiten".

(RP)
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