Istanbul Machtkampf unter Kurden
Istanbul · Nach außen stellen die PKK-Kurdenrebellen die neuen Gefechte im Südosten der Türkei gerne als reine Schutzmaßnahme gegen das türkische Militär dar. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Vor einigen Tagen erschossen PKK-Kämpfer im Kurdengebiet einen Arzt, der an einer Straßensperre der Rebellen nicht anhielt. Ein zwölfjähriger Junge starb bei der Explosion eines PKK-Sprengsatzes. In der Provinz Hakkari entführten Rebellen ein Mitglied der Regierungspartei AKP und dessen Sohn. Die PKK-Gewalt wird zunehmend auch von kurdischen Politikern in der Türkei kritisiert, denn sie gefährdet die Chancen der legalen Kurdenpartei HDP bei der Neuwahl im November. Der Machtkampf zwischen Rebellen und Zivilisten in der Kurdenbewegung ist im vollen Gange.
Die Kurden müssten sich entscheiden, ob sie Ziele wie mehr lokale und regionale Selbstverwaltung im Parlament und bei Verhandlungen über eine neue Verfassung erreichen wollten oder mit der Waffe in der Hand, sagte der HDP-Abgeordnete Altan Tan der Zeitung "Hürriyet". Die HDP, die sich als friedliebende und linksliberale Reformkraft positioniert, will bei der Neuwahl am 1. November ihren Stimmenanteil von 13 Prozent weiter ausbauen, doch die neue Gewalt im Kurdengebiet könnte dies verhindern. Mit ihrer Unnachgiebigkeit spielt die PKK dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan in die Hände. Erdogan setzt alles daran, die HDP unter die Zehnprozent-Marke für den Parlamentseintritt zu drücken. Fortgesetzte Gewalt der PKK könnte viele liberale Wechselwähler davon abhalten, für die HDP zu stimmen. Im Kampf um die Meinungsführerschaft bei den Kurden berufen sich die HDP-Politiker auf die höchste Instanz - den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan. Dieser habe die Ära des bewaffneten Kampfes ein für allemal für beendet erklärt. Doch Öcalan kann sich nicht äußern. Seit April verbietet die türkische Regierung alle Besuche bei dem Rebellenchef auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul.