Kiew/Düsseldorf Passagier-Jet über Ukraine abgestürzt

Kiew/Düsseldorf · Mindestens 295 Tote, darunter vier Deutsche. Regierung und prorussische Separatisten werfen sich gegenseitig Abschuss vor.

Malaysia Airlines: Passagier-Jet über Ukraine abgestürzt
Foto: MAXIM ZMEYEV

Eine Passagiermaschine der Malaysia Airlines mit 295 Menschen an Bord ist gestern im Osten der Ukraine abgestürzt und in umkämpftem Gebiet nahe der Kleinstadt Schatjorsk zerschellt. Nach übereinstimmenden Informationen aus russischen und ukrainischen Sicherheitskreisen gab es keine Überlebenden - alle 280 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder seien tot. Auch am Boden gab es nach Medienberichten Tote.

Die Boeing 777-200 des Flugs MH 17 war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur in Malaysia. Unter den Opfern waren mindestens vier Deutsche, wie am späten Abend ein Sprecher des Flughafens in Amsterdam sagte. Auch Dutzende US-Amerikaner und Niederländer sowie Franzosen, Briten und Dänen sollen an Bord gewesen sein.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Unglücks machten sich die ukrainische Führung und die prorussischen Separatisten gegenseitig für einen Abschuss des Jets verantwortlich. Präsident Petro Poroschenko warf den Separatisten vor, die Boeing abgeschossen zu haben wie zuletzt bereits mehrere ukrainische Militärflugzeuge. Er ordnete die Bildung einer Untersuchungskommission an. Die Maschine sei in 10 000 Meter Höhe von einer Flugabwehrrakete getroffen worden, bestätigte Anton Geraschtschenko, ein Berater des ukrainischen Innenministeriums. Die Flugaufsicht des Landes teilte mit, die Boeing habe keine Auffälligkeiten gezeigt, bevor sie von den Radarschirmen verschwunden sei.

Die prorussischen Kräfte hingegen warfen den ukrainischen Streitkräften den Abschuss vor. Die Maschine sei nahe der Großstadt Donezk abgestürzt, sagte der selbst ernannte Premierminister der dortigen "Volksrepublik", Alexander Borodai. Es handele sich um eine Provokation der Luftwaffe. Auch Kremlchef Putin machte die Ukraine für den Absturz verantwortlich.

Die Separatisten hatten zuletzt mehrfach zugegeben, ukrainische Kampfjets, Transportmaschinen und mehrere Hubschrauber abgeschossen zu haben. Nach bislang unbestätigten Berichten beim Kurznachrichtendienst Twitter haben die Separatisten behauptet, im Verlauf der Kämpfe ein BUK-Flugabwehrsystem erbeutet zu haben. Das Lenkwaffen-System kann Ziele in Höhen bis zu 25 000 Metern treffen. Außerdem sollen sich die Separatisten gestern zunächst mit dem Abschuss eines Flugzeugs bei Schatjorsk gebrüstet, ihre Siegesmeldungen aber zurückgezogen haben, als klar wurde, dass es sich nicht um eine Armeemaschine, sondern ein Passagierflugzeug handelte.

Ukrainische Hilfskräfte gelangten zunächst nicht zu der zerschellten Maschine, da das Absturzgebiet von den Separatisten kontrolliert wird. Ein Expertenteam der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa machte sich noch am Abend auf den Weg zum Wrack.

Die Separatisten erklärten sich nach dem Absturz zu einer befristeten Feuerpause bereit. "Für die Bergungsarbeiten ist eine Waffenruhe nötig", sagte ein Sprecher der Aufständischen in Donezk. "Premierminister" Borodai forderte dazu schnelle Gespräche mit der ukrainischen Führung in Kiew.

Ein versehentlicher Abschuss des Passagierjets gilt als unwahrscheinlich. "So etwas ist entweder das Ergebnis von Absicht, von Extrem-Stress aufseiten des Militärs oder von technischen Ausfällen", sagte der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt unserer Zeitung. Verkehrsflugzeuge würden permanent eine eindeutige Kennung aussenden und seien deshalb auf dem Radar eindeutig als solche zu erkennen.

Ein Überflug von Kampfgebieten in großer Höhe ist an sich nichts Ungewöhnliches. Die Lufthansa reagierte dennoch umgehend auf die potenzielle Bedrohung in der Ukraine. Der ost-ukrainische Luftraum werde bis auf Weiteres weiträumig umflogen, sagte ein Sprecher. Frankreich wies seine Fluggesellschaften an, den ukrainischen Luftraum komplett zu meiden.

Flug MH 17 hatte Amsterdam um 12.15 Uhr Ortszeit verlassen und sollte heute um 6.10 Uhr malaysischer Ortszeit in Kuala Lumpur ankommen. In Malaysia trauern die Menschen noch immer um die Opfer von Unglücksflug MH 370, der seit dem Start in Kuala Lumpur im März mit 239 Menschen an Bord verschollen ist. Die malaysische Regierung wollte einen Abschuss der Maschine zunächst nicht bestätigen und rief die Bevölkerung dazu auf, Ruhe zu bewahren.

(RP)
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