Analyse Marshall-Plan für Merkel

Berlin · Gut Ding braucht Weile. Doch das Riesending Flüchtlingskrise lässt der Politik keine Zeit mehr. "Uns läuft die Zeit davon", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Der 73-Jährige sagt so etwas selten, weil er aus jahrzehntelanger Erfahrung weiß, dass europäische und internationale Lösungen nicht schnell zu haben sind. Nun aber drängt die Zeit. Die To-Do-Liste der Bundesregierung mit zehn Empfehlungen für die kommenden Tage und Wochen sähe aus unserer Sicht so aus:

1. Kommunikationsstrategie überdenken und eine internationale Aufklärungskampagne starten.

Die schnelle, internationale Wirkung von Kommunikationsarbeit über das Internet wird von der Bundesregierung nach wie vor sträflich unterschätzt. Die Bundeskanzlerin sollte ihr hohes persönliches Ansehen in der Welt, die Marke "Angela Merkel", viel stärker einsetzen, um im deutschen und europäischen Interesse darauf hinzuwirken, dass sich weniger Menschen nach Europa auf den Weg machen. Merkels "Willkommenskultur" und die Selfies von Flüchtlingen mit ihr haben in der Welt das verhängnisvolle Narrativ vom "Willkommens-Deutschland" entstehen lassen, das nur die Kanzlerin selbst wieder korrigieren kann. Sie muss der Welt sagen, dass Deutschland ab sofort nur noch Flüchtlinge mit eindeutigen Identitätsnachweisen aus den Kriegsgebieten in Syrien und dem Irak aufnehmen kann, die eine hundertprozentige Bleibeperspektive haben. Alle anderen werden von den deutschen Behörden abgewiesen.

2. Finanzielle Hilfe für die UN-Flüchtlingslager, für Syrien, ganz Nahost und Afrika aufstocken.

Ende 2014 kündigte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen an, die Hungerhilfe für 1,7 Millionen Syrer in den Flüchtlingslagern rund um Syrien einzustellen. Zu viele Geldgeberländer, darunter auch die Bundesrepublik, hielten ihre Zusagen nicht ein. Das war der Auslöser der Völkerwanderung nach Europa: Hunderttausende Syrer machten sich aus purer Not auf den Weg. Bis heute ist der Missstand nicht behoben, obwohl Deutschland mittlerweile eine Kehrtwende hingelegt und seine Geldzusagen für die UN-Flüchtlingslager wieder stark erhöht hat. Doch tatsächlich fließt weiterhin viel zu wenig Geld dorthin. Da viele Länder unsolidarisch sind, muss Europa vorangehen und die Hilfe für die Flüchtlingslager im Alleingang massiv aufstocken. Doch damit nicht genug: Schäuble spricht zu Recht von einem "Marshall-Plan" für Syrien, für Nahost und für Afrika, um den Menschen dort überhaupt so etwas wie eine Zukunftsperspektive zu geben.

3. In der EU eine "Koalition der Willigen" bilden.

Die Bundesregierung hat nicht mehr die Zeit, sich in langwierigen Verhandlungen mit den 28 EU-Partnern aufzureiben. Merkel kann weiter versuchen, auf den EU-Gipfeln Mitte Februar und Mitte März zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, doch sie sind unwahrscheinlich. Zu viele Staaten sind nicht bereit, Deutschland zu helfen. Deshalb sollte Merkel eine "Koalition der Willigen" mit Frankreich, Belgien, Schweden, Dänemark, den Niederlanden, Österreich, Slowenien und anderen schmieden,

(mar)
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