Duisburg Marxloher fühlen sich von Merkel verstanden

Duisburg · Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach mit Anwohnern des Problemviertels Marxloh über deren Ängste und Sorgen.

Als die Bundeskanzlerin gestern Mittag um 12.42 Uhr vor dem Hotel "Montan" in Duisburg-Marxloh aus ihrer Dienstlimousine steigt, zücken die Anwohner ihre Handys. Rund 300 Marxloher sind gekommen, um Angela Merkel zu sehen. Es ist der Tag der Selfies mit der Kanzlerin. Jeder möchte ein Foto von sich mit Angela Merkel drauf haben. Dafür aber hat die Regierungschefin kaum Zeit. Sie grüßt rechts und links der Absperrung entlang, lächelt in die Kameras, winkt, schüttelt Hände und geht dann in Begleitung ihrer Sicherheitsleute in das Hotel. Vereinzelt gibt es Buhrufe, sonst freuen sich fast alle in dem Stadtteil über den hohen Besuch aus Berlin, von dem die meisten allerdings nicht mehr als eine winkende Kanzlerin zu sehen bekommen.

Merkel ist nach Marxloh gekommen, um mit Anwohnern über die Probleme in ihrem Stadtteil zu sprechen. Das Gespräch findet statt im Rahmen des Bürgerdialogs unter dem Titel "Gut leben in Deutschland", einer Veranstaltung, die für die Bundeskanzlerin fast schon zur Tradition geworden ist. Im Juni war sie deswegen in einer Rostocker Schule, sprach dort mit Flüchtlingskindern, eines fing an zu weinen, als Merkel ihr was erklärte. Die Bilder des weinenden Mädchens machten Schlagzeilen - vor allem negative. In Marxloh waren diesmal keine Kinder dabei.

Als Ort für das Treffen hat man das Hotel "Montan" ausgewählt, ein rustikales Haus mit Tradition inmitten des Problemviertels, dessen besseren Tage aber schon lange zurückliegen - so wie die des ganzen Stadtteils. Den einzigen Saal des Hotels, wo ansonsten der örtliche Männergesangsverein einmal wöchentlich probt, hat man zu einem Fernsehstudio umfunktioniert. Phoenix überträgt live. Die 54 Anwohner, die Merkel Fragen stellen dürfen, sitzen wie in einer kleinen Arena in Dreierreihen nebeneinander. An ihrer Auswahl hatte es im Vorfeld heftige Kritik gegeben. Sie seien nicht die "wahren Marxloher", sondern vom Kanzleramt vorher sorgsam ausgewählt worden. Merkel will das so nicht stehen lassen. Gleich zu Beginn der Talkrunde erklärt sie, dass das nicht stimme. Die städtische Entwicklungshilfe habe bei der Auswahl der Gäste geholfen. "Ich habe da keine Hand im Spiel gehabt", sagt sie. Niemand widerspricht.

Kritik an der Kanzlerin ist in dieser Runde ohnehin nicht zu erwarten. Die, die dabei sind, sind froh, überhaupt dabei sein zu dürfen. Statt Widerworte gibt es überwiegend Applaus für die Worte der Kanzlerin, die meist unverbindlich bleiben. Die Stimmung ist locker. Gesprochen wird über Bildung, Integration und über die Armutsflüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien, die allen in Marxloh auf die Nerven zu gehen scheinen. "Sie halten die Nachtruhe von 22 Uhr nicht ein, werfen ihren Müll auf die Straße, ihre Kinder gehen nicht in die Schule", klagt ein türkischer Verkäufer von Brautmoden. Merkel nickt verständnisvoll und sagt, dass sich auch die Armutsflüchtlinge an gewisse Aufenthaltsregeln zu halten hätten. Der Mann ist zufrieden.

Nur am Ende geht es um die angespannte Sicherheitslage. Über die arabischen Großfamilien, die ganze Straßenzüge für sich reklamieren und Polizisten angreifen, fällt aber auch dann kaum ein Wort. Die Anwohner im Publikum bleiben pauschal, wenn es um die Gewalt in ihrem Viertel geht. Niemand, so hat es den Anschein, möchte Ross und Reiter benennen, offen aussprechen, dass es kriminelle Familienclans vor der eigenen Haustür gibt, die Angst und Schrecken verbreiten. Ja, es gebe viele Probleme in Marxloh, und ja, auch viele Gewalttaten, aber eigentlich sei doch alles gar nicht so schlimm, wie es die Medien machten, ist der allgemeine Tenor im Saal. Man dürfe hier nicht alles so schlecht reden, meint einer der ausgewählten Anwohner. Wenn weiter so negativ berichtet werde, würden bald alle hier wegziehen. Und damit sei auch niemandem geholfen. Einem Gast im Raum, einem Feuerwehrmann, ist das dann doch zu viel des Guten. Als die Talkrunde eigentlich schon beendet ist, berichtet er von Übergriffen auf ihn und seine Kollegen während ihrer Löscharbeiten. "Wir werden attackiert und mit Feuerwerksraketen beschossen, wenn wir in Marxloh in brennenden Häusern Menschen retten wollen", betont er. Die Kanzlerin reagiert entsetzt, verzichtet auf die Sprache der Diplomatie. "Toleranz ist nicht zu verwechseln mit Regellosigkeit", sagt sie mit Blick auf Banden krimineller Ausländer. "Wenn die Polizei Angst hat, wenn die Feuerwehr Angst hat, dann bricht etwas zusammen."

Nach 105 Minuten ist der Talk zu Ende - 15 Minuten überzogen. Zum Abschluss gibt es ein Gruppenbild mit der Kanzlerin, das allen Teilnehmern als Erinnerung nach Hause geschickt wird. Merkel sagt, sie sei froh, nach Marxloh gekommen zu sein. Sie habe viel gelernt von den Menschen und nehme viele Anregungen mit nach Berlin. Auch die Teilnehmer sind zufriedener: "Sie hat den Eindruck vermittelt, dass sie uns zuhört und unsere Probleme an Experten weitergibt", sagt Pater Oliver und fügt hinzu, als er die Kanzlerin ins Auto steigen sieht. "Schade nur, dass sie eigentlich nichts von Marxloh gesehen hat."

(RP)
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