Birmingham May will Anwältin der kleinen Leute sein

Birmingham · Die Gegner der britischen Premierministerin fallen reihenweise um. Eine gute Gelegenheit für die Tories, sich als Volkspartei zu inszenieren.

Theresa May lacht. Die britische Premierministerin und Parteivorsitzende der Konservativen ("Tories") braucht die Opposition nicht zu fürchten, denn ihre politischen Gegner fallen reihenweise um. Jüngster Fall: Diana James, Chefin der rechtspopulistischen Partei Ukip, ist nach nur 18 Tagen wegen innerparteilicher Querelen vom Parteivorsitz zurückgetreten. Ukip war die entscheidende politische Kraft, die in Großbritannien auf ein Referendum über den Austritt aus der Europäischen Union gedrungen und die Konservativen vom rechten Rand aus unter Druck gesetzt hatte. Jetzt, nach dem bald erreichten Brexit, scheint sich die Partei selbst zu demolieren. Ex-Ukip-Chef Nigel Farage stellte klar, dass er nicht für den Parteivorsitz zur Verfügung stehe, "auch für zehn Millionen Dollar nicht". Damit müssen sich May und ihre Tories um ihre rechte Flanke erst einmal keine Sorgen mehr machen.

Und die politische Mitte ist weit offen. Vor etwas mehr als einem Jahr waren die Liberaldemokraten noch Juniorpartner in der Regierung. Heute passt die Rumpf-Fraktion von acht Abgeordneten in ein größeres Taxi. Und Labour, die große Oppositionspartei? Spielt keine Rolle mehr, nachdem sich die Fraktion mit Parteichef Jeremy Corbyn zerstritten und ihm das Misstrauen ausgesprochen hat. Nach der Wiederwahl Corbyns erwartet niemand, dass sich die Abgeordneten mit dem neuen, alten Chef aussöhnen oder dieser sich zum überzeugenden Oppositionsführer mausern könnte. Stattdessen rückt Labour, das hat der jüngste Parteitag klargemacht, scharf nach links.

Eine strategische Chance für May, nachzustoßen und mit ihrer Partei die Mitte zu besetzen. In ihrer Abschlussrede zum Parteitag der Konservativen in Birmingham versuchte die Premierministerin sogar noch mehr: Sie erklärte die Tories zur eigentlichen Partei der Arbeiter. Das klingt lächerlicher, als es wirklich ist. Theresa May will die innenpolitischen Konsequenzen aus der Entscheidung ziehen, die EU zu verlassen. Sie hat die 17 Millionen Brexit-Wähler im Blick, die sich von der Globalisierung und den Eliten im Stich gelassen fühlen. "Ich will unsere Partei und unser Land auf den Weg zu einem neuen Zentrum führen, wo jeder nach den gleichen Regeln spielt und wo jede einzige Person, egal was ihr Hintergrund oder ihre Eltern sind, eine Chance bekommt, sich zu verwirklichen", rief sie.

Ausdrücklich distanzierte sich May von Margaret Thatcher, der Übermutter der Konservativen, die einmal behauptete, "so etwas wie Gesellschaft gibt es nicht". May wies die "ideologischen Schablonen der sozialistischen Linken und der libertären Rechten" zurück und sagte: "Regierung kann und sollte eine Kraft des Guten sein." Das war an die Verfechter des "kleinen Staats" in ihrer eigenen Partei gerichtet. "Es ist Zeit", sagte sie, "sich an das Positive zu erinnern, das eine Regierung tun kann. Der Staat existiert, um das bereitzustellen, was Individuen, Gemeinschaften oder Märkte nicht bieten können."

Wieder und wieder erklärte sie sich zur Anwältin der "normalen Leute aus der Arbeiterklasse", wetterte gegen "die Reichen und Mächtigen" und versprach eine "Politik, die für alle da ist, nicht nur für die wenigen Privilegierten", und die "sich für die Schwachen einsetzt und den Starken Paroli bietet". Sie glaube an den freien Markt, aber der müsse reformiert werden, "damit er auch für die Arbeiter funktioniert". Ihr Glaube sei, und da verabschiedete sie sich endgültig vom Thatcherismus, "dass es mehr gebe als nur Individualismus und Selbstinteresse".

Mayismus statt Marxismus also? Es war ein starkes Bekenntnis der Tory-Chefin, aber erst die nächsten Jahre werden zeigen, ob sie es auch einlösen kann. Wenn der Brexit, wie sie sagte, dazu führt, dass Großbritannien "globaler" wird als ein Champion des Freihandels, dann werden die Interessen derjenigen, die sich von der Globalisierung ausgeschlossen und benachteiligt fühlen, kollidieren mit den volkswirtschaftlichen Interessen des Landes. Dann wird sich zeigen, ob Arbeitnehmerrechte immer noch ganz oben auf Mays Agenda stehen.

(RP)
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