Analyse Mediziner streiten über Sterbehilfe

Düsseldorf · 180 deutsche Mediziner haben sich in einer ganzseitigen Anzeige für den ärztlich assistierten Selbstmord ausgesprochen. Damit wird die gesellschaftliche Debatte über Sterbehilfe neu entfacht.

Mediziner streiten über Sterbehilfe
Foto: epd

Kein mitfühlender Mensch wird ernsthaft gegen Sterbehilfe sein. Weil es zur Würde jedes Lebenden gehört, die Würde jedes Sterbenden bis zuletzt zu bewahren. Aber auch das ist ein Befund unserer Zeit, dass unsere Gedanken nach diesen paar Stichworten sofort um die in Deutschland verbotene aktive Sterbehilfe kreisen, um den assistierten Selbstmord. Dabei zählt auch dies zur Sterbehilfe: einen Menschen bis zum letzten Atemzug zu begleiten, mit ihm zu sprechen, ihn vielleicht zu halten, zu pflegen. Diese Form der Sterbehilfe zielt nicht auf eine tödliche Medikation, sondern beschreibt einen zutiefst menschlichen Wesenszug: den der wahrhaftigen Anteilnahme.

Die deutsche Debatte über Sterbehilfe ist weder neu noch wird sie von neuen Erkenntnissen begleitet. Ihre Impulse erfährt sie von außen. Wie jetzt zum Auftakt des 118. Deutschen Ärztetags, der befeuert wird mit einer ganzseitigen Anzeige im Fachjournal der "Ärztezeitung". Darin sprechen sich 180 deutsche Mediziner für den ärztlich assistierten Suizid aus. Die bemerkenswerte Annonce zielt nicht allein auf den heute beginnenden Berufskongress, sondern auch auf die Mitglieder des Deutschen Bundestags, die in der zweiten Jahreshälfte über diverse Gesetzesentwürfe zur Sterbehilfe beraten werden. Und die dabei eine Antwort auf die Frage finden wollen, wie die Selbstbestimmung des Einzelnen auch am Lebensende bewahrt werden kann in einer Gesellschaft, die auch per Strafgesetzbuch zum Lebensschutz verpflichtet ist. Dennoch müssten die Politiker bei einer Lockerung dieser gesetzlichen Handhabung keineswegs um ihre Popularität fürchten, kann sich mittlerweile doch jeder zweite Deutsche einen Selbstmord vorstellen, sollte er selbst zum unheilbaren Pflegefall und somit zur Last seiner Umwelt werden.

Die Debatte über Sterbehilfe ist von Anfang an keine Angelegenheit nur für Mediziner gewesen. Sie ist weit mehr der Wegbegleiter einer gesellschaftlichen Entwicklung; der Seismograph neuer Antwortversuche auf alte, ethische Fragen. Dass diese bis heute letztgültig nicht geklärt wurden, liegt an unseren veränderten Einstellungen zum Leben und zum Sinn des Lebens. Da ist zum einen die anhaltende Säkularisierung der Gesellschaft und das dadurch schwächer werdende Echo auf christliche Botschaften, die in der Debatte kaum mehr als den Stellenwert von Positionen haben. Demnach ist der Mensch ein Geschöpf, aber kein Schöpfer. Er wird zum Empfänger von Leben und Freiheit und nicht zum Herrn über Leben und Tod. Wer dies verkennt, so die Kirchen, ermächtigt sich, aus dem Geschenk Gottes sein eigenes Produkt zu machen.

Die Haltung der christlichen Kirchen ist vor diesem Hintergrund eindeutig und lässt sich in einem Satz des Kölner Erzbischofs, Rainer Maria Kardinal Woelki, gut zusammenfassen: "Es ist besser, an der Hand eines Menschen zu sterben als durch die Hand eines Menschen." Die Wünsche der Kirchen zielen daher nicht auf eine Änderung der Gesetzeslage, sondern auf die Verbesserung der Arbeit in den Hospizen und den Ausbau der Palliativmedizin. Vor allem darin soll eine konkrete Alternative zur Sterbehilfe gegeben werden.

Im gleichen Maße, wie der Einfluss der Kirchen auch in moralischen Fragen schwindet, begünstigt der gesellschaftliche Wandel mit Macht andere Einstellungen zum Leben. Dreh- und Angelpunkt dabei ist die Selbstbestimmung des Menschen. Die Freiheit des Sterbens wird als emanzipatorisches Projekt begriffen. In den Niederlanden beispielsweise, in denen Ärzten mittlerweile eine aktive Sterbehilfe erlaubt ist, wurde diese Debatte von der 68er-Bewegung angestoßen. Auch darin sollte sich ein aufgeklärtes Menschenbild vollenden. Schon längst bestimmen wir, wann und wie wir uns fortpflanzen und überprüfen zudem frühzeitig, wie es um die Gesundheit des künftigen Menschen bestellt ist. Die Aufsicht über das Leben scheint weitgehend zu funktionieren. Allein der Tod, der den umfassenden Kontrollverlust des Menschen dokumentiert und damit die Selbstbestimmung als Illusion entlarvt, bedeutet für die moderne Gesellschaft eine Kränkung. Aus diesem Grund muss auch er unserer Entscheidung untergeordnet werden. Der letzte Wille soll vermeintlich frei sein. Ob man will oder nicht, im Hintergrund dieser Selbstbestimmungs-Sehnsüchte stellt sich permanent die Frage nach dem Wert des Lebens - zwischen jung und alt, zwischen gesund und behindert. Unser Leben wird reduziert auf das biologische Leben und seine Leistungsfähigkeit. Wie wertvoll ein Leben wirklich ist, beantwortet ein Selbstmord nicht. Er gibt aber die Maßstäbe und die Normen seiner Bewertung vor. Jeder selbstbestimmte Tod ist auch darum immer mehr als nur eine Privatsache.

Das sind ethische Fragestellungen und Bemühungen um ethische Antworten. Sie wollen Grundlegendes abbilden, eine Haltung der Gesellschaft etwa. Das heißt notgedrungen auch: Sie ignorieren den Einzelfall. Sie missachten den Sterbenden, der nur mit Hilfe der Hochleistungsmedizin noch ein wenig leben darf und soll und große Schmerzen erleiden muss. Sie schauen weg vor der Todesangst, die mit viel medizinischer Kunst weiter verlängert wird. Über diese Tragödien gehen all unsere Debatten und moralischen Vorstellungen hinweg. Man wird diese Fragen angesichts des Leids ohnehin kaum über die Lippen bringen. Es gibt kein ideales Sterben. Keinen guten Tod.

In Deutschland existiert längst eine Grauzone, die verantwortlichen Ärzten eine gewisse Freiheit zum Handeln gibt. Etwa mit dem Einsatz starker Schmerzmittel, die auch eine Lebensverkürzung in Kauf nehmen.

Man kann über die Sterbehilfe nicht geteilter Meinung sein, man sollte es sein.

(RP)
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