Analyse Mehr Tote durch Operationen als im Verkehr

Berlin · In deutschen Krankenhäusern sterben jährlich 19.000 Menschen durch Behandlungsfehler. Die AOK nimmt in ihrem Krankenhaus-Report Ärzte und Kommunen in die Pflicht. Das löst prompt Widerstand aus.

Diese Kliniken sind vor der Insolvenz
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Foto: dpa, Arno Burgi

Wer sich im Krankenhaus in die Obhut eines Arztes begibt, möchte eine gute Versorgung, ein erfahrenes Operationsteam und schlichtweg die beste Behandlung, die möglich ist. Nun aber präsentiert die AOK in ihrem Krankenhaus-Report Zahlen, die bei vielen Menschen zur Ernüchterung führen dürften: In deutschen Kliniken gibt es jährlich rund 19 000 Todesfälle aufgrund von Behandlungsfehlern. Im vergangenen Jahr gab es rund 3300 Verkehrstote.

Von den rund 19 Millionen Menschen, die jährlich stationär aufgenommen werden, sei dies zwar nur ein Anteil von 0,1 Prozent, heißt es in dem Report der Krankenkasse. Er befinde sich aber auf einem "traurigen gleichbleibenden Niveau", sagt Max Geraedts, Leiter des Instituts für Gesundheitssystemforschung an der Universität Witten/Herdecke und Mitherausgeber der AOK-Studie. Gut 40 Prozent der Todesfälle, die aus Behandlungsfehlern resultieren, können laut dem Report vermieden werden.

Bei ihrer Erhebung greift die AOK allerdings nicht auf aktuelle Zahlen zurück. So stammt das Ursprungsmaterial vom Aktionsbündnis Patientensicherheit aus dem Jahr 2007. Die Autoren des AOK-Reports bewerteten die damalige Studie als ausreichend, um daraus nun eine Schätzung der Krankenhaus-Situation abzuleiten.

Als Behandlungsfehler zählt die AOK Fehler, die aufgrund unkonzentrierter Arbeit oder fahrlässiger Versorgung entstanden sind. Die größten Komplikationen sind im Bereich der Medikation und der Hygiene anzusiedeln — insbesondere während oder nach einer Operation. Aus den rund 19 Millionen stationären Krankenhausaufenthalten ergeben sich jährlich gut 50 Millionen Behandlungen, bei denen operative Eingriffe vorgenommen werden.

Vor allem das Ansteckungsrisiko mit antibiotikaresistenten Krankenhauskeimen wie besipielsweise dem am häufigsten auftretenden sogenannten MRSA-Keim könne durch eine gründlichere Hygiene minimiert werden. "Hände-Desinfektion wird nicht so häufig durchgeführt, wie es sein sollte", sagt Geraedts.

Was die Häufigkeit solcher Keime betrifft, liegt Deutschland dem Krankenhausreport zufolge im internationalen Vergleich lediglich im "günstigen Mittelfeld". So erreichten manche Krankenhäuser nur eine Hände-Desinfektionsrate von 50 Prozent. Sprich: In jedem zweiten Fall, in dem eine Hände-Desinfektion nötig war, wurden die Finger auch gewaschen.

Todesfälle, die als Kunstfehler gezählt werden, resultieren nicht ausschließlich aus Nachlässigkeit, manchmal fehlt auch schlicht die medizinische Kompetenz. Hier gilt: Je mehr Operationen in einem bestimmten Bereich vorgenommen werden, desto geringer ist das Risiko, dass Komplikationen auftreten. Die fünf Prozent der deutschen Krankenhäuser, die die wenigsten Hüftgelenksoperationen durchführen, haben beispielsweise ein um 37,5 Prozent höheres Komplikationsrisiko als jene Häuser, die am häufigsten einen solchen Fall operieren. Routine macht den Meister.

Gleiches gilt für die Geburt von Frühchen. Rund 60 000 Babys kommen in Deutschland vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt. Besonders gefährdet sind Frühgeborene unter einem Gewicht von 1250 Gramm. In Krankenhäusern, die jährlich mindestens 45 Frühchen-Geburten verzeichnen, liegt die Risikowahrscheinlichkeit bei nahezu null. Liegt die Geburtenanzahl nur bei 15 oder gar darunter, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Frühgeborenen sterben, um 87 Prozent höher.

Der geschäftsführende Vorstand des AOK-Bundesverbandes, Uwe Deh, fordert deshalb eine Spezialisierung der Krankenhäuser. Besonders im ländlichen Bereich müsse die Versorgung für den Patienten besser werden, sagt Deh. Er begrüßte eine entsprechende Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Eine solche Spezialisierung setze kluge Investitionsentscheidungen durch die Krankenhausträger voraus. "Es fehlt nicht das Geld, sondern das Geld wird von den Kommunen falsch verteilt", kritisiert Deh.

An diesem Punkt hagelt es Kritik an der Krankenkasse vonseiten der Ärzte und Kliniken. So forderte die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen die AOK prompt zur Sachlichkeit auf. Die Probleme entstünden nicht durch mangelnde Qualität, sondern durch unzureichende Finanzierung. Der Dachverband der deutschen Krankenhäuser betont, dass die Bereitschaft der Krankenhäuser, Qualität und Sicherheit weiterzuentwickeln, nie größer gewesen sei. "Die AOK ist nur wieder auf der Suche nach einem Schuldigen. Dabei sind es die Krankenkassen, die zu wenig Geld für die Behandlung von Patienten zur Verfügung stellen", sagt Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin.

Als Beispiel für eine gute Patientenversorgung werden immer wieder die Niederlande herangezogen. Die Zahl der Todesfälle in den Krankenhäusern ist im Vergleich zu Deutschland geringer, und auch die Häufigkeit von Infektionen mit bekannten Krankenhauskeimen liegt unter der von deutschen Kliniken. Die Niederländer berücksichtigen bereits seit den 1980er Jahren eine Anti-Keim-Strategie mit strikten Hygienestandards und einer Isolierung von Risikopatienten. Patienten, die in ausländischen Krankenhäusern vorbehandelt wurden, werden beispielsweise so lange isoliert, bis sie auf bestimmte Keime negativ getestet worden sind.

Allerdings kommen in Deutschland mehr als doppelt so viele Patienten auf einen Arzt wie in den Niederlanden. In Notsituationen könne dies zum Auslöser für mangelnde Hygiene werden, führt Jonitz an. Deshalb müsse dringend über mehr Personal nachgedacht werden. Jonitz sagt: "Wenn eine Krankenschwester drei Frühchen zu versorgen hat und bei einem klingelt plötzlich der Alarm, dann kann sie sich nicht erst mal in Ruhe die Hände waschen."

(jaco)
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