Analyse "Meine Generation hat keine Lobby"

Düsseldorf · Die Politik diskutiert gerade über alles Mögliche – nur nicht über die Zukunft der jungen Leute. Sie nehmen das Land wahr als einen Rundum-sorglos-Staat auf Pump, den sie in Zukunft bezahlen sollen.

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Foto: dpa, Oliver Berg

Die Politik diskutiert gerade über alles Mögliche — nur nicht über die Zukunft der jungen Leute. Sie nehmen das Land wahr als einen Rundum-sorglos-Staat auf Pump, den sie in Zukunft bezahlen sollen.

Ich bin 27 Jahre alt — und mache mir Sorgen um meine Zukunft. Das schwarz-rote Wohlfühlpaket, über das Union und SPD zurzeit beraten, bereitet mir Albträume. 50 bis 60 Milliarden Euro für sozial- und finanzpolitische Ideen sind im Gespräch. Wer dafür aufkommen soll? Irgendwer. Irgendwann. Also ich. Dabei liegt die Staatsverschuldung schon jetzt bei mehr als zwei Billionen Euro. Allein in diesem Jahr fließt rund ein Drittel des Bundeshaushaltes in Rentenzuschüsse anstatt in Zukunftsinvestitionen. Und was machen die Politiker? Sie wenden sich lieber den Alten zu. Auch aus Eigeninteresse.

Jeder dritte Wähler ist heute älter als 60. Bis 2050 wird es nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes mehr als jeder zweite sein. Die absolute Mehrheit. Die Rentnerdemokratie, vor der Altbundespräsident Roman Herzog warnte, scheint damit besiegelt. Noch dazu ist jedes zweite Mitglied von Union und SPD bereits über 60. Ich frage mich: Wird gegen die Interessen der Alten bald keine Politik mehr möglich sein? Schließlich werden Versuche, etwas dagegen zu unternehmen, abgebügelt. So wie 2007. Da scheiterte eine Initiative wackerer Jungpolitiker aus allen Fraktionen, die Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu verankern.

Vielleicht haben wir Jungen deshalb schon längst gelernt zu funktionieren. Wir sind aufgewachsen in einer Zeit voller Krisen: Wirtschaftskrise, Bildungskrise, Finanzkrise. So etwas prägt. Schon im ersten Semester wussten wir, dass es nach dem Bachelor-Studium nicht genügend Master-Plätze gibt. Trotzdem haben wir Kredite aufgenommen, ein Praktikum nach dem anderen absolviert, waren im Ausland, saßen in Sprachkursen, haben unsere Soft Skills im Ehrenamt erweitert. Weil der Arbeitsmarkt das ja gerne sieht.

Und trotzdem sitzen in deutschen Unternehmen heute Ältere, die großzügige Betriebsrenten kassieren werden — neben Jüngeren, denen jeglicher Anspruch verwehrt bleibt. Die Einstiegsgehälter sinken oder stagnieren, während die Einkommen der über 50-Jährigen weiter steigen. Unter den unter 35-Jährigen gibt es viermal so viele befristet Beschäftigte wie unter den über 50-Jährigen. Gerechtigkeit sieht anders aus.

Obwohl sich die Welt in rasendem Tempo ändert, steht das Land still. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kauft immer nur Zeit. Noch ein Rettungspaket, noch ein paar Milliarden. Damit das System noch eine Weile überlebt. Es gab einen Grundtenor in den vergangenen Jahren — und der hieß: Wir müssen sparen. Doch dann kam die Finanzkrise, und plötzlich wurden Milliardensummen lockergemacht. Dabei lastet auf meiner Generation schon jetzt eine große Hypothek. Die offizielle Verschuldung des Staates beträgt 83 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Addiert man aber alle Lasten, die sich in Sozialversicherungen und Pensionsverpflichtungen verstecken, summieren sich die Schulden auf 230 Prozent. Und würde Schwarz-Rot tatsächlich alle Ankündigungen wahr machen, ohne im Gegenzug zu sparen, stiege die Belastung auf mehr als 250 Prozent. Das hat das Forschungszentrum Generationenverträge an der Universität Freiburg nachgerechnet.

Wir leben in einem Staat, der die Schulzeit um ein Jahr verkürzt und die Studiengänge gestrafft hat. Der es für sinnvoll hält, den Wehr- und Zivildienst zu streichen und damit die Lebensarbeitszeit der Jungen künstlich in die Länge zu ziehen. Und wo bleibt der Aufschrei? Der hallt erst durchs Land, wenn das Rentenalter um zwei Jahre gehoben wird.

Als ich geboren wurde, hieß der Arbeitsminister Norbert Blüm. Er sagte, die Rente sei sicher. Als ich Abitur machte, forderte die Regierung junge Menschen auf, ihr Geld am Kapitalmarkt anzulegen, weil auf die Rente kein Verlass mehr sei. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt das Nettorentenniveau heute 51 Prozent. Wer 2030 in Rente geht, erhält dagegen 43 Prozent. Kommen heute noch drei Jüngere für einen Rentner auf, werden es im Jahr 2030 nur noch zwei sein. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass diese Entwicklung den Wohlstand unserer Gesellschaft bedroht.

Wir werden den gesamten Reichtum der Babyboomer-Generation einmal erben, heißt es. Experten aber glauben: Bis zu ihrem Tod werden sie ihr Vermögen verbraucht haben. Erst für ihren Lebensstil, dann für ihre Gesundheit. Wir Jüngeren werden dagegen länger und mehr arbeiten müssen — für weniger Geld. Wir werden höhere Steuern und Sozialabgaben zahlen, aber viele werden später kaum mehr als eine Grundsicherung erhalten. Und die Kosten der Finanzkrise werden wir auch zahlen. Private Altersvorsorge ist keine Lösung, sie überfordert viele von uns.

Doch mit Sätzen wie "Die Alten sind schuld, weil sie zu viele sind" oder "Die Jungen sind schuld, weil sie so wenige Kinder kriegen" kommen wir nicht weiter. Schließlich ist der demografische Wandel nichts, was wie eine Naturkatastrophe über uns hinwegbraust. Schrumpfen kann man lernen. Die brennende Frage lautet: Was fangen die politischen Entscheidungsträger mit dem Geld an, das etwa durch sinkende Schülerzahlen eingespart wird? Investieren sie es in Kitas, Schulen und Universitäten? Oder nehmen sie das gesparte Geld, um es pünktlich zur nächsten Wahl an die Alten auszuschütten?

Die Politik muss deshalb handeln — und die Lasten gerechter verteilen. Sie muss Staat und Sozialsysteme organisieren, ohne den Jungen einen Lastenberg zu hinterlassen. Um Deutschland enkeltauglich zu machen. Damit das geschehen kann, brauchen wir Jungen einen mächtigen Partner: die Alten, die an den Hebeln der Entscheidungen sitzen. Denn sie sind mehr, sie sind reicher, sie haben das Sagen. Und sie haben die Gesellschaft so gemacht, wie sie heute ist.

Fest steht auch: Nicht alle Alten können mit Geld um sich werfen. Aber unter ihnen gibt es mehr Vermögende als Arme mit mageren Renten. Einen Teil davon sollten sie an die Gesellschaft zurückgeben. Als Zukunftssoli für ihre Enkel und Ur-Enkel. Denn wir sind jung — und brauchen das Geld.

(RP)
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