Die Kandidaten beim TV-Duell Merkel sicher, Schulz angriffslustig

In der einzigen direkten Auseinandersetzung in diesem Wahlkampf wirkt die Kanzlerin gelassen, während sich Schulz zwar angriffslustig aber auch sehr nervös zeigt. Das wichtigste Thema: Die Türkei-Politik.

Es gibt einen Tipp, den TV-Coaches allen Leuten ans Herz legen, die vor laufenden Kameras auftreten: Sie sollen viel lächeln. In den ersten Minuten beherzigen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Herausforderer Martin Schulz (SPD) dieses Einmaleins der Fernseh-Auftritte. Während des in Teilen emotional und kontrovers geführten Duells vergessen beide immer wieder die Regel.

Eine angespannte Stimmung baut sich schon Stunden vor Start des Duells auf. Gegen 17 Uhr kommen per Bus Mitglieder der Jungen Union vor dem Studio in Berlin-Adlershof an. Sie tragen Deutschland und Europa-Fahnen sowie Plakate mit der Aufschrift: "Die Beste möge gewinnen." Als Merkel um 19.23 Uhr eintrifft, steigt sie aus und bedankt sich bei ihren Unterstützern. Schulz, der neun Minuten früher da war, ist so konzentriert, dass er sofort im Studio verschwindet und die Chefredakteure der Sender begrüßt. Offensichtlich sagt ihm jemand, dass er seine Leute vergessen hat. Er kehrt um und schüttelt noch ein paar Hände.

Pressestimmen zum TV-Duell 2017 Merkel vs. Schulz: "Klare Kante, klare Aussagen"
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"Ein ziemlich glanzloses Duell"

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Auch die Strippenzieher und Politik-Experten treffen nach und nach ein. Michael Spreng, der einst Stoiber im Wahlkampf beriet, ist überzeugt: "Schulz hat nur eine Chance, wenn er das strenge Format von Frage-und-Antwort sprengt und auf Angriff geht."

Offensichtlich haben auch Schulz' Berater ihm dies mit auf den Weg gegeben. Von Anfang an versucht er sich von der Kanzlerin zu distanzieren und geht in die Offensive, was aber schwierig für ihn ist. Beim Thema Integration mahnt Schulz, Männer, die aus palästinensischen Gebieten kommen, müsse man sagen, dass der Schutz Israels zu unserer Staatsraison gehört. Merkel nickt dazu. Das waren ja mal ihre Worte.

Auch beim Thema Türkei - der interessanteste Teil des Duells, versucht es Schulz und erklärt für Merkel überraschend, er würde als Bundeskanzler die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen. Merkel wittert, dass diese Klarheit Schulz angesichts der Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der Türkei für ihre Umfragewerte gefährlich werden kann. Am Ende lässt sie ihm den Punkt nicht und ringt sich dazu durch, auch zu erklären, die EU-Beitrittshilfen nicht mehr zahlen zu wollen und dass man auch darüber reden werde, die Beitrittsverhandlungen abzubrechen.

Angela Merkel vs Martin Schulz: Bilder vom TV-Duell 2017
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Merkel vs Schulz: Die Bilder vom TV-Duell 2017

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Foto: dpa, wst

Vor allem in der ersten halben Stunde wirkt Schulz nervös, verhaspelt sich in einem philosophischen Zitat, von dem er einräumt, es eigentlich für das Ende der Sendung vorgesehen zu haben. Die Moderatoren reagieren leicht spöttisch auf ihn. Sie mahnen ihn, sich nicht mehr für Fragen zu bedanken und führen ihn vor, indem sie feststellen, er würde "kochen, köcheln, dampfen". An diesen Stellen ist das Duell nicht fair.

Der Druck auf beide ist immens: Nach einer Umfrage wollen bis zu sieben Millionen Wahlberechtigte ihre Stimmabgabe vom Ausgang des Duells abhängig machen. Das sind mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten. Beide haben sich auf das Duell sorgfältig vorbereitet, was auch immer wieder vorbereiteten Sätzen anzumerken ist - bei Schulz mehr als bei Merkel. Seit Samstagmorgen haben sie sich aus dem Wahlkampf zurückgezogen, um in diesen 95 Minuten punkten zu können.

Beim Thema Diesel passt kein Blatt Papier zwischen die beiden Kontrahenten, die nur 1,40 Meter im Studio voneinander entfernt stehen. Am Ende einigen sie sich großkoalitionär darauf, mit dem Justizminister erneut über sein Konzept für Klagen von Verbrauchern gegen die großen Autokonzerne zu sprechen. Echte Unterscheidbarkeit sieht anders aus. Dementsprechend umschifft Schulz auch die Frage, ob er eine erneute große Koalition ausschließt.

In einer der letzten Umfragen vor dem TV-Duell zeigten sich knapp zwei Drittel der Befragten davon überzeugt, dass Merkel als Siegerin daraus hervorgehen werde. Dieses Selbstbewusstsein strahlt sie auch während des Duells aus. Dass man das im Willy-Brandt-Haus naturgegeben anders sieht, wurde schon Stunden vor Start der Sendung klar. Die SPD verbreitete über Google Schulz als Sieger. Eine peinliche Panne. Die programmierte Botschaft hatte zu früh Beine bekommen. Darüber ärgern sich auch die vielen SPD-Promis, die nach Adlershof gekommen sind.

Die Übertragungshalle neben dem Studio B ist wie für eine große Party hergerichtet. Stände mit Getränken, Essen, Bars, Stehtisch, Lounge-Möbel. Von Union und SPD sind die Parteispitzen prominent vertreten: SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und Generalsekretär Hubertus Heil. Aus der Union sind die Ministerpräsidenten Armin Laschet, Annegret Kramp-Karrenbauer und Stanislaw Tillich gekommen sowie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Fraktionschef Volker Kauder, der an diesem Abend Geburtstag hat. Genug zum Anstoßen ist jedenfalls vorhanden. Auf der Getränke-Karte in Anspielung auf die Duellanten: ein Jägermeister, Vorpommersche-Teezeit und ein Jägermeister Würselenes-Jungenspiel. Während im Studio auf Wunsch des Kanzleramts kein Studio-Publikum zugelassen ist, herrscht in der Übertragungshalle Stimmung. Unions- und SPD-Lager klatschen, twittern und feixen.

Das Ende der Sendung entscheidet traditionell das Los. Merkel hat das letzte Wort, dafür durfte Schulz die erste Antwort geben. Auch vor vier Jahren war Merkel das Losglück hold. Damals schaute sie mit festem Blick in die Kamera und sagte: "Sie kennen mich." Ihre ganze Erfahrung in drei Worten. Das ist an diesem Abend nicht mehr zu toppen.

Martin Schulz, der zuerst das Schlusswort hat, schlägt den großen Bogen von der Ungerechtigkeit der Löhne bis hin zur großen Linie, dass es in einer Zeit des Umbruchs Mut zum Aufbruch brauche. Das klingt ein wenig floskelhaft. Am Ende fehlt ihm die Zeit und seine Bitte um die Stimme der Wähler geht unter in den Mahnungen der Moderatoren zum Ende zu kommen.

Merkel hingegen räumt mit einer Mannöverkritik an der Sendung, dass in darin zu wenig die Zukunftsthemen Bildung, Digitales und Arbeitsmarkt vorgekommen seien, eine Reihe wichtiger SPD-Themen in ihrem Schlusswort ab und gibt sich gewohnt treuherzig: "Dafür möchte ich arbeiten - für Sie und mit Ihnen."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Manuela Schwesig sei Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. Richtig ist: Mecklenburg-Vorpommern. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

(qua)
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