Moskau Gorbatschow droht politischer Prozess

Moskau · Russische Abgeordnete wollen den früheren Präsidenten für den Untergang der Sowjetunion bestrafen. Der Vorstoß liegt im Trend.

Das ist Michail Gorbatschow
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Der Staatsmann Michail Gorbatschow

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Seit dem Anschluss der Krim kursieren in der russischen Polit-Elite viele sowjetnostalgische und repressive Ideen. Die aufsehenerregendste: Michail Gorbatschow (83) soll sich für den Zerfall der Sowjetunion vor Gericht verantworten. Das fordern Abgeordnete mehrerer Parteien in der russischen Staatsduma. Ein entsprechendes Gesuch haben sie bereits bei Generalstaatsanwalt Juri Tschaika eingereicht.

"Diejenigen, die im Jahr 1991 im Kreml regierten und dieses große Land zerschlugen, haben sämtliche Toten in Kiew auf dem Gewissen", befand der nationalistische Abgeordnete Michail Degtjagew. Er ist einer der Autoren des Antrags, der von Parlamentariern der Kreml-Partei "Geeintes Russland", den Kommunisten und den Nationalisten von Wladimir Schirinowski unterstützt wird.

Der Abgeordnete Jewgeni Fjorodow, der "Geeintes Russland" vertritt, bedauerte nur, Deutschland werde Gorbatschow, falls er dorthin flüchte, vermutlich nicht ausliefern, "wenn die Ermittlungen ergeben, dass er Schuld am Zerfall der UdSSR hatte und außerdem ein Spion der USA war, in deren Auftrag er seine damalige Politik ausführte".

Michail Gorbatschow reagierte gelassen. Die Aktion sei "reine Dummheit" und diene allein der Profilierung einiger Abgeordneter, wiegelte der Friedensnobelpreisträger ab: "Die möchten, dass man über sie redet." Gorbatschow war von 1985 bis 1991 Generalsekretär der KPdSU und ab 1990 Präsident der Sowjetunion. Am 25. Dezember 1991 trat er zurück, nachdem das Parlament in Moskau die Auflösung der UdSSR beschlossen hatte. In Russland ist Gorbatschow, anders als im Westen, beim Großteil der Bevölkerung unbeliebt.

Durch den völkerrechtswidrigen Anschluss der Krim ist Russland international unter Druck geraten. Die Führung des Landes betont zwar stets, dass man vor Sanktionen des Westens keine Angst habe. Zugleich reagiert das politische Establishment mit protektionistischen und isolationistischen Vorschlägen, von denen die meisten bestenfalls realitätsfremd, schlimmstenfalls irrsinnig zu nennen sind.

Die Linie ist immer die gleiche: Man macht Front gegen den Westen und beschwört die glorreiche Autarkie der Sowjetzeit. "Wir waren arm, aber wir waren groß", gibt eine Kolumnistin der "Komsomolskaja Prawda" den Ton vor. Die Rückkehr zu diesen Verhältnissen erscheint vielen Russen erstrebenswert. Und kremltreue Politiker profilieren sich mit trotzig-populistischen Vorschlägen, frei nach dem russischen Motto: "Um Mama zu ärgern, friere ich mir die Ohren ab." Mittlerweile wird schon diskutiert, den Dollar ais dem Land zu verbannen oder den russischen Bürgern zu verbieten, ins Ausland zu reisen.

Der Abgeordnete Robert Schlegel will den Anteil ausländischer Filme in russischen Kinos auf 50 Prozent begrenzen. Dieser Antrag "passe jetzt gut in die Zeit", erklärte Schlegel, ein bekannter Wadenbeißer der Kreml-Partei "Geeintes Russland". Viele der US-Filme, die in Russlands Kinos liefen, seien "unterstes Niveau". Eine ähnliche Initiative betreibt Kulturminister Wladimir Medinski: Er will einheimischen Filmproduktionen immerhin eine Quote von 20 Prozent sichern. In der Sowjetunion durften die Kinos maximal sechs US-Filme pro Jahr zeigen.

Auch dem amerikanischen Fast Food haben die Abgeordneten den Kampf angesagt. Nach der Annexion der Krim hatte der US-Konzern McDonald's alle drei Schnellrestaurants auf der Halbinsel geschlossen. "Wir sollten die Filialen in ganz Russland zumachen. Das ist doch widerliches Zeug, warum sollen wir unsere Bürger vergiften?", grollte Nationalist Schirinowski. Er kündigte an, Mitglieder seiner Partei würden nun vor jeder McDonald's-Filiale Wachen aufstellen, bis sich die Amerikaner aus Russland zurückzögen. "Danach kümmern wir uns um Pepsi-Cola."

Auf der Welle des Patriotismus haben die Abgeordneten schon mehrere repressive Gesetzesänderungen durchgesetzt. So wird die "Organisation gewaltsamer Massenunruhen" mit Haft von acht bis 15 Jahren bestraft — dasselbe Strafmaß wie für Mord. Auch ein ohnehin schon umstrittenes Gesetz über die "Rehabilitierung des Faschismus" wurde verschärft. Wer die Ergebnisse der Nürnberger Prozesse gegen die Kriegsverbrecher Nazi-Deutschlands infrage stellt oder sich der "Schändung von Gedenktagen des militärischen Erfolgs" der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg schuldig macht, muss mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen.

(RP)
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