Analyse Migrantenpartei gegen rechts

Den Haag/Düsseldorf · Mit seiner Partei "Denk" will Tunahan Kuzu den Rechtsdrall des niederländischen Parlaments stoppen. Seine Art zu polarisieren ähnelt jedoch genau der seines größten Widersachers.

 Die Gründer von "Denk": Selçuk Öztürk (l.) und Tunahan Kuzu

Die Gründer von "Denk": Selçuk Öztürk (l.) und Tunahan Kuzu

Foto: dpa

Im niederländischen Parlament ist es Tradition, bei Rededuellen einander nicht direkt anzusprechen, sondern den Parlamentsvorsitzenden. Das klingt dann so: "Frau Vorsitzende, Herr Wilders ist ein Hassprediger." Der Umweg über den Obmann soll Distanz wahren - doch auch wenn die Abgeordneten einander in der dritten Person anreden: Der persönliche Groll einem anderen gegenüber wird deutlich. Vor allem wenn sich die Parlamentarier Geert Wilders und Tunahan Kuzu gegenüberstehen.

Von Kuzu stammt der erwähnte Einwurf. Geert Wilders, Rechtspopulist und Chef der Partei für die Freiheit (PVV), ist Kuzus Erzfeind - und umgekehrt. Denn Kuzu ist Vorsitzender der Migrantenpartei Denk. Es ist die erste Partei dieser Art in der Europäischen Union. Ihr Ziel: den emanzipierten Ausländern eine Stimme geben, vorzugsweise den türkischstämmigen.

Vor gut eineinhalb Jahren kannte Denk noch niemand. Tunahan Kuzu und sein ebenfalls türkischstämmiger Kollege Selçuk Öztürk waren damals noch Abgeordnete der sozialdemokratischen Partei für die Arbeit (PvdA). Nach internen Streitereien mit ihrem Parteimitglied Lodewijk Asscher, seit 2012 Vizepremier und Sozialminister der Niederlande, verließen sie die PvdA. Asscher hatte etwa beschlossen, islamische Gruppierungen wie Milli Görüs schärfer zu überwachen.

Kuzu und Öztürk bildeten eine Zwei-Mann-Fraktion im Parlament. Im Februar 2015 gaben sie sich den Namen Denk. Es heißt so viel wie "Denk nach". Mittlerweile besitzt die Bewegung einige prominente Anhänger: Vergangenen November trat die ehemalige Miss Niederlande Tatjana Maul als Wortführerin in die Partei ein. Mit dem bekannten Vertreter der marokkanischen Einwanderer, Farid Azarkan, wuchs das Team weiter. Der größte Coup war aber Sylvana Simons. Die TV-Moderatorin aus Suriname kennt in den Niederlanden jeder, der Fernsehen schaut. Ihr Schritt in die Politik ist eine kleine Sensation.

Mit diesem Multikulti-Gespann wollen Kuzu und Öztürk nun das Parlament aufmischen, es geraderücken. Denn die niederländische Politik habe sich zu weit nach rechts verschoben, sagt Kuzu. Zu weit in die Richtung von Geert Wilders. Für den PVV-Chef ist Denk nur eine nervige Splittergruppe im Parlament. Kuzu und seinesgleichen sollten zurück nach Ankara gehen, sagte Wilders. "Das ist nicht Ihr Land", hielt er Kuzu entgegen.

Kuzu wiederum verglich Wilders mit Hitler und nannte ihn einen Hirntumor, den es zu bekämpfen gelte. Bei einem Wortgefecht im Parlament packte Kuzu das Manifest des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik aus. 30-mal stehe der Name Wilders darin. Damit sei der PVV-Chef Teil des Problems.

Die niederländische Zeitung "NRC Handelsblad" beschreibt die Methode Denk so: Profiliere dich als Opfer der etablierten Parteien, schlage so hart wie möglich gegen andere Politiker zu, erzähle davon in den sozialen Netzwerken. Es ist kein Zufall, dass Kuzu Gefallen an der politischen Polarisierung gefunden hat. Schließlich funktioniert sie, wie der steile Aufstieg Geert Wilders' zeigt. Der Unterschied ist nur: Für den eingewanderten Kuzu sind die Niederlande der Feind. Ein Rassismus-Register müsse her, um Fehltritte der Abgeordneten aufzuzeigen, so Kuzu. Wilders dagegen hat mit Rassismus wenig Probleme. Den Slogan "Minder, minder" kennt mittlerweile jeder Niederländer. Wilders fragte im März 2014 seine Anhänger, ob sie mehr oder weniger Marokkaner im Staat wollten. Seine Gefolgschaft skandierte: "Minder, minder" ("Weniger, weniger"). Darauf sagte Wilders: "Dann werden wir das so regeln." Ende August stellte er sein Wahlprogramm vor. Eine Din-A4-Seite, natürlich veröffentlicht in den sozialen Netzwerken. Punkt eins: die Niederlande "de-islamisieren". Alle Moscheen und islamischen Schulen schließen, den Koran verbieten. Wilders könnte Kuzu auch mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen.

Der Disput zwischen den beiden Hitzköpfen wird im kommenden Jahr nach der Parlamentswahl an Fahrt gewinnen. Denk erhofft sich fünf der 150 Sitze in der Zweiten Kammer. Im Moment ist die Partei in Umfragen aber noch nahezu unsichtbar. Einzig das in den Niederlanden bekannteste Umfrageinstitut Maurice de Hond führt Denk bei der Sonntagsfrage (wenn jetzt Wahl wäre) mit zwei Sitzen. "Maximal drei Sitze, mehr ist nicht drin", sagt Maurice de Hond, Gründer des Instituts.

Dass viele andere Institute Denk noch nicht auf dem Zettel haben, hat mit der Klientel der Partei zu tun. Die Politologen können nicht einschätzen, wie groß sie ist. "In den Niederlanden haben 3,5 Prozent der rund 17 Millionen Einwohner einen türkischen Hintergrund. Wir rechnen damit, dass ein Drittel davon 2017 Denk wählen wird", sagt de Hond. "Dazu könnten noch einige afrikanisch-stämmige Niederländer kommen."

Wilders PVV ist dagegen eine andere Größenordnung. Die Partei erhält 2017 nach aktuellen Umfragen 30 Sitze. Damit wäre sie stärkste Kraft. Das ist es wohl, was Kuzu meint, wenn er sagt, die Niederlande rückten zu weit nach rechts. Doch ob er mit seiner Migrantenpartei das Parlament revolutionieren kann, ist mehr als fraglich. Die Nähe zum türkischen Staat kann Denk nicht bestreiten. Den Putschversuch gegen Präsident Erdogan spielte Kuzu herunter, ebenso die kurzzeitige Inhaftierung der niederländisch-türkischen Bloggerin Ebru Umar im April in Ankara. Umar hatte zuvor in einer Gratiszeitung kritisch über Erdogan geschrieben. Alles sei nur ein "Medienhype", sagte Kuzu. Das sahen die restlichen Parlamentarier anders, als sie sich geschlossen hinter eine Resolution für Umars sofortige Freilassung stellten. Für viele Abgeordnete ist Denk lediglich der extreme Gegenpol zu Wilders. Mit beiden ist die Zusammenarbeit derzeit unmöglich.

(jaco)
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