Wirtschaftsforscher "Mindestlohn gefährdet 900.000 Jobs"

Berlin · Wirtschaftsforscher warnen vor dem Verlust Hunderttausender Stellen im Niedriglohnsektor. Ministerin Nahles will eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde fast ohne Ausnahmen ab 2015.

Wirtschaftsforscher: "Mindestlohn gefährdet 900.000 Jobs"
Foto: dpa, Patrick Pleul

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) setzt sich über alle Warnungen hinweg und lässt beim geplanten flächendeckenden Mindestlohn ab 2015 so gut wie keine Ausnahmen zu: Nur für Minderjährige unter 18 Jahren ohne Berufsausbildung soll die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde nicht gelten. Union, Arbeitgeber und Fachleute hatten dagegen eine Grenze von mindestens 21 Jahren gefordert, um einen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu vermeiden. Das Münchner Ifo-Institut warnt vor dem Verlust von 900.000 Jobs im Niedriglohnsektor.

Bei einem Treffen der Parteichefs von CDU, CSU und SPD, Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, konnte sich Gabriel offenbar durchsetzen. Seehofer hatte am Dienstag noch unmittelbar vor dem Gespräch für eine höhere Altersgrenze plädiert. Offenbar setzt auch die Kanzlerin darauf, dass der Mindestlohn wegen des Wirtschaftsaufschwungs und wachsenden Arbeitskräftebedarfs keine negativen Folgen haben wird. Änderungen im parlamentarischen Verfahren nach dem Kabinettsbeschluss am 2. April sind allerdings noch möglich. Der CDU-Sozialpolitiker Karl Schiewerling forderte gestern sogar eine Altersgrenze von 23 Jahren.

Risiko für Berufseinsteiger und ehemalige Langzeitarbeitslose

"Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro würde mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor akut bedrohen", warnte der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt. Das Risiko sei besonders groß für Berufseinsteiger und ehemals Langzeitarbeitslose. Er forderte "zeitlich befristete Ausnahmen vom Mindestlohn für Langzeitarbeitslose, Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Personen mit längeren Phasen der Nichterwerbstätigkeit, beispielsweise Mütter nach einer längeren Familienpause oder pflegende Familienangehörige". Auch für "Personen mit Behinderungen, Entlohnung auf Stücklohnbasis, Beschäftigte in Privathaushalten und Personen, die stark am Umsatz beteiligt sind, beispielsweise im Gastgewerbe", müsse es Ausnahmen geben.

Nahles will jedoch Ausnahmen nur in den Branchen bis Ende 2016 zulassen, in denen per Tarifvertrag geringere Mindestlöhne festgelegt sind. Das Arbeitsministerium geht von 15 Branchen aus, die diesen Weg gehen wollen. Auch für Saisonarbeiter wird nach einer tariflichen Lösung gesucht. Für Zeitungszusteller soll der bisherige Stücklohn weiter möglich sein, allerdings muss sich dieser künftig am Mindestlohn von 8,50 Euro orientieren. Für Langzeitarbeitslose, für die staatliche Lohnkostenzuschüsse bezahlt werden, soll eine Übergangszeit von sechs Monaten gelten. Betroffen davon sind aber nur 20 000 der insgesamt zwei Millionen Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind.

"Der Mindestlohn von 8,50 Euro ist jetzt flächendeckend notwendig. Er kann dann ab 2017 angehoben werden — und zwar entsprechend dem, was durchschnittlich an Erhöhung der Tariflöhne da war", sagte Michael Vassiliadis, Chef der Chemiegewerkschaft IG BCE. "Wir brauchen diese zwei Jahre Zeit, um Erfahrungen mit diesem Instrument zu sammeln und um auch zu prüfen, wie die Entwicklung der Tarife verläuft", sagte Vassiliadis.

(mar)
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