Athen Mit 60 Euro durch den Alltag

Athen · Die griechischen Banken haben schließen müssen. Die meisten Geldautomaten sind zwar seit gestern Mittag wieder in Betrieb. Die einheimischen Kunden dürfen aber nur eine begrenzte Summe abheben. Für Touristen soll das nicht gelten.

Auf den ersten Blick ist es ein ganz normaler Montag. Am Fuß der Athener Akropolis halten die Reisebusse, die Touristen steigen die Stufen zu den Propyläen und zum Parthenon hinauf. Es weht ein angenehm kühler Westwind. Aber auch die meisten Urlauber haben gemerkt, dass dies für die Griechen alles andere als ein normaler Tag ist.

"Heute Morgen haben wir drei Geldautomaten ausprobiert, aber alle streikten", berichtet die deutsche Touristin Bettina Graber. Die 66-Jährige ist mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester unterwegs. Auch bei zwei Bankfilialen in der Nähe ihres Hotels standen die Urlauberinnen vor verschlossenen Türen. "Wir haben noch 200 Euro, das wird wohl reichen - morgen reisen wir sowieso ab", sagt die Frau.

Es klingt nicht so, als fiele den Schwestern der Abschied schwer. Im deutschen Fernsehen, das sie im Hotel via Satellit empfangen können, haben sie die Sondersendungen aus Athen verfolgt. "Wer weiß, was auf das Land noch zukommt", sagt Bettina Graber besorgt.

Das fragen sich auch die Griechen. Seit Ministerpräsident Alexis Tsipras am Wochenende eine Volksabstimmung ankündigte, mit der die Wähler über Annahme oder Ablehnung des jüngsten Hilfsangebots der Gläubiger entscheiden sollen, machen sich Ungewissheit und Angst breit in Griechenland. Nachdem die Menschen am Wochenende in langen Schlangen vor den Geldautomaten und Tankstellen anstanden, nachdem sie sich in den Supermärkten mit Lebensmitteln eindeckten, stehen sie seit gestern vor geschlossenen Banken.

Lange hatten sich Tsipras und sein Finanzminister Giannis Varoufakis gegen Kapitalkontrollen und eine Schließung der Banken gesträubt. Nachdem am Wochenende die verunsicherten Kunden rund zwei Milliarden Euro aus den Geldautomaten holten, war dieser Schritt aber nicht länger zu vermeiden. Den Banken drohte der Zusammenbruch, zumal die Europäische Zentralbank nicht bereit scheint, die Ela-Notkredite für die griechischen Banken weiter zu erhöhen. Die Bankschalter sind nun zu, und auch an den Automaten - die meisten sind seit gestern Mittag wieder in Betrieb - ist nicht viel zu holen: maximal 60 Euro pro Tag.

Damit sind die jetzt in Griechenland eingeführten Kapitalkontrollen sogar noch strenger als in Zypern, wo im März 2013 während der Finanzkrise ebenfalls die Banken für eine Woche schlossen. Die Zyprer konnten damals anfangs 100 Euro, später 300 Euro pro Tag aus den Automaten ziehen.

Anders als in Zypern gibt es in Griechenland Ausnahmen für Touristen: Wer mit einer ausländischen Kredit- oder Bankkarte an einen Geldautomaten geht, für den gilt die 60-Euro-Grenze nicht. Er kann so viel Geld ziehen, wie es dem Limit seiner Karte entspricht. "60 Euro pro Tag reichen mir, mehr kann ich sowieso nicht ausgeben", sagt Christos Ioannidis. Der 69-Jährige sitzt in einem der traditionellen Kaffeehäuser im Viertel Makrygianni, unterhalb der Akropolis. 690 Euro Rente bekommt er im Monat. Der alte Mann wirkt gelassen. "Ich vertraue Tsipras", sagt er. "Gut, dass er den Europäern die Stirn bietet und sich nicht unterkriegen lässt."

Die Geldgeber hätten den Griechen mit dem Spardiktat der vergangenen fünf Jahre ihre Würde genommen, klagt der Rentner. Dass Griechenland jetzt auf den Staatsbankrott zusteuert, scheint er noch nicht begriffen zu haben - oder es stört ihn nicht: "Was haben kleine Leute wie ich schon zu verlieren?" Die Regierung versichert, die Renten und die Gehälter der Staatsbediensteten würden in dieser Woche planmäßig ausgezahlt.

In vielen griechischen Restaurants wurden Kreditkarten schon früher nur ungern entgegengenommen. Der Grund: Kartenumsätze kann man vor dem Fiskus nicht verschleiern, Barzahlungen schon. Jetzt ist die Abneigung vieler Wirte, Hoteliers und Einzelhändler gegen das Plastikgeld noch gewachsen.

"Auch wenn mir die Kartenzahlungen auf dem Konto gutgeschrieben werden, wer weiß, ob ich mein Geld je wiedersehe?", sagt der Besitzer eines Andenkenladens am Akropolis-Museum. "Schließlich muss ich meine Lieferanten bezahlen, und die bestehen auf Vorkasse."

Dass den Griechen nun wegen der Kapitalverkehrskontrollen das Bargeld ausgeht, kann man aber nicht behaupten: Finanzfachleute gehen davon aus, dass die Griechen bis zu 20 Milliarden Euro in ihren Wohnungen versteckt oder in Schließfächern gebunkert haben. Das heißt freilich nicht, dass jeder Grieche 1800 Euro hortet - die Vermögen im Land sind sehr ungleich verteilt.

(RP)
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