Rom Erneut Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

Rom · Bis zu 500 Menschen aus Afrika könnten ertrunken sein. Die EU will nun ihren Militäreinsatz vor der libyschen Küste ausweiten.

Mittelmeer: 500 Flüchtlinge könnten ertrunken sein
Foto: dpa, so cul

Die Bergungsarbeiten für das mutmaßlich größte Flüchtlingsunglück im Mittelmeer am 18. April 2015 hatten gerade begonnen, da drohte schon die nächste Tragödie: 400 Flüchtlinge, die meisten aus Somalia, werden irgendwo zwischen Ägypten und Italien vermisst. So lauteten gestern übereinstimmende Meldungen. Die italienische Marine hatte da gerade ihre Schiffe vor die libysche Küste geschickt, um Hunderte Leichen aus einem auf den Meeresboden gesunkenen Kutter zu bergen. Die Menschen waren dort vor exakt vor einem Jahr ertrunken. 149 konnten damals gerettet werden, 600 bis 800 Flüchtlinge starben.

Das Datum, der 18. April - in Italien ein freundlicher Frühsommertag - wirkt seither wie eine Klammer des Schreckens für die Tragödien auf dem Meer, das die EU mit Afrika verbindet. Obwohl der Hergang sowie die genaueren Umstände gestern noch unklar waren, bestätigte Italiens Außenminister Paolo Gentiloni das Unglück. Staatspräsident Sergio Mattarella erinnerte an den 18. April 2015, er betonte: "Es ist jetzt wirklich nötig, nachzudenken."

Wenig ist über die verhängnisvolle Überfahrt klar. Normalerweise legen die überfüllten Flüchtlingsboote an der Küste Libyens ab, um die italienische Insel Lampedusa oder Sizilien zu erreichen. Es heißt, es hätten Hunderte Menschen auf vier kaum seetüchtigen Booten die Überfahrt von Ägypten versucht. Die Opfer stammten aus Somalia, Eritrea und Äthiopien. 29 Menschen überlebten die Tragödie offenbar. Bereits am Sonntagabend brachte die italienische Küstenwache sechs Tote an Land, 108 Flüchtlinge wurden gerettet.

Auf dem Mittelmeer hat die Saison des Massensterbens begonnen, anders kann man die im Frühsommer regelmäßigen Flüchtlingstragödien kaum bezeichnen. Weil um diese Jahreszeit auf dem Kanal von Sizilien das Wetter milder und der Seegang ruhiger wird, nehmen die von Schleppern organisierten, lebensgefährlichen Überfahrten zu.

Am Samstag hatte Papst Franziskus das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos besucht und zwölf Migranten aus Syrien mit nach Rom gebracht. Etwa 24.000 Migranten haben seit Jahresanfang Italien über das Mittelmeer erreicht. Allein seit vergangenem Dienstag wurden über 6000 Ankömmlinge in Italien gezählt. Gleichzeitig ist mit dem im März geschlossenen Flüchtlings-Abkommen zwischen EU und der Türkei die Zahl der Überfahrten nach Griechenland extrem zurückgegangen. In der vergangenen Woche sollen gerade 174 Flüchtlinge die Insel Lesbos erreicht haben.

Nach dem EU-Abkommen mit der Türkei werden Migranten, die Griechenland ohne gültigen Aufenthaltstitel erreichen, in die Türkei abgeschoben. Im Gegenzug hat sich die EU verpflichtet, für jeden Abgeschobenen einen syrischen Flüchtling aufzunehmen. Der Fluchtweg über den Balkan ist nach wie vor abgeschnitten. In Italien hingegen seien etwa 20 Prozent mehr Flüchtlinge angekommen als im Vorjahr, sagte Innenminister Angelino Alfano dem Fernsehsender SkyTG24. "Es handelt sich nicht um eine Invasion oder um ein Desaster", sagte Alfano mit Blick auf die Zahlen. Er versicherte, Italien registriere "100 Prozent aller Migranten". Länder wie Deutschland oder Österreich hatten in der Vergangenheit Italien immer wieder beschuldigt, Flüchtlinge nicht entsprechend den europäischen Regeln zu registrieren, sondern unkontrolliert weiterreisen zu lassen. Nach der sogenannten Dublin-Verordnung müssen sich Flüchtlinge in dem Land registrieren lassen, in dem sie erstmals den Boden der EU betreten. Nur in diesem Land können sie Asyl beantragen.

Während die Balkanroute und Griechenland vor allem von Flüchtlingen aus Syrien angesteuert worden waren, beschränkt sich die derzeitige Migrationswelle nach Italien vor allem auf Migranten aus Afrika. Unter den 24.000 Ankömmlingen sind vor allem Flüchtlinge aus Nigeria, Gambia, Somalia, Guinea, der Elfenbeinküste und dem Senegal und teilweise auch Menschen aus Afghanistan und Pakistan.

Die Befürchtung, dass also die syrischen Flüchtlinge, die bisher über Griechenland den Weg in die EU suchten, über Nordafrika nach Italien umschwenken, hat sich bislang nicht bestätigt. Experten zufolge könnte dieses Szenario aber nun drohen. Die EU beschloss unterdessen, dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Libyen beim Wiederaufbau der Küstenwache, beim Grenzschutz, bei der Polizeiarbeit sowie bei der Terrorbekämpfung zu helfen.

(RP)
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